«Es drohen auch in der Schweiz Amokläufe»

Aktualisiert

Bluttat von Winnenden«Es drohen auch in der Schweiz Amokläufe»

Ein Amoklauf wie jener von Winnenden (D) dürfte in den nächsten fünf Jahren auch in der Schweiz Realität werden, warnt der Schweizer Notfall-Psychologe Herbert Wyss. Ein wichtiger Grund dafür seien grosse, anonyme Schulen und der steigende wirtschaftliche Druck.

Amokspezialist Herbert Wyss, Betreiber einer Beratungsfirma für Gewalt und Gewaltgefährdung in der Schule, nahm am Donnerstag gegenüber verschiedenen Medien Stellung zum Amoklauf in Winnenden. Gegenüber 20 Minuten Online warnte er, dass sich in den nächsten fünf Jahren einmal in der Schweiz ein ähnliches Unglück ereignen werde.

Der Trend zur Zusammenlegung von Schulen werde immer stärker, begründete Wyss seine Befürchtung. Anonyme Schulen seien jedoch eine Gefahr. Hier trete Gewalt viel häufiger auf als in überschaubaren Situationen. Amokläufe könne man zwar verhindern. Die meisten Schulen seien aber zu wenig vorbereitet, um mögliche Signale von Tätern zu erkennen. Die Schulen müssten sich deshalb die Unterstützung externer Spezialisten sichern. Das geschehe bisher viel zu wenig.

«Im Kopf des Amokläufers herrscht eine wahnsinnige Überspannung»

Ein Amoklauf komme nicht aus heiterem Himmel, sondern werde akribisch vorbereitet, sagte Wyss. «So eine Gewalttat baut sich über Monate hinweg langsam auf und die Täter machen verschiedene Phasen durch.» In einer ersten Phase sei der Täter sozial schlecht integriert, sehr Ich-bezogen, konsumiere viel Gewalt in Musik, Filmen und Büchern und spiele Killerspiele. In einer zweiten Phase komme es öfter zu plötzlichen Gewaltausbrüchen, während denen er ausflippe. Anschliessend käme eine «ruhigere Phase», in der Amokläufer minutiöse Pläne machen.

Danach kommt es laut Wyss zu mündlichen Drohungen, gewalttätigen Schulaufsätzen und Ankündigungen im Internet, in Mails oder im Tagebuch.

Die letzte Phase schliesslich sei ein lang andauernder Gewaltausbruch, in dem der Täter Menschen tötet. «Man nennt das Bewegungssturm, im Kopf des Amokläufers herrscht eine wahnsinnige Überspannung», so Wyss. Amokläufer, die ihre Tat überleben, befänden sich danach in einem Zustand tagelanger Erschöpfung.

Realistischerweise gebe es nur eine Möglichkeit, einen Amokläufer zu stoppen, sagte Wyss der «Neuen Luzerner Zeitung». Dies müsse in der Drohphase geschehen und könne noch am Morgen des Tages der Fall sein, an dem der Amokläufer zur Waffe greifen wolle.

Würden sie gestoppt, reagierten potenzielle Amokläufer meistens frustriert, weil sie ihre Tat nicht hätten durchführen können, so Wyss gegenüber «News». Sie sähen aber auch ein, dass sie Hilfe brauchten. In psychiatrischen Kliniken könnten potenzielle Amokläufer therapiert werden.

Wirtschaftliche Lage könnte zu mehr Amokläufen führen

Die Häufung von Amokdrohungen in den vergangenen Jahren sei ein neueres Phänomen, zumindest in der Schweiz, wie Wyss gegenüber 20 Minuten Online sagte. Beunruhigend sei dabei vor allem die steigende Tendenz – und die könnte nochmals anwachsen, so Wyss. Amokläufe würden in der Regel aus persönlichen Notsituationen heraus geplant. Das könnten Beziehungsabbrüche, familiäre Drucksituationen oder schulische Probleme sein. Eine wirtschaftliche Krise, wie man sie jetzt erlebte, könne die persönliche Notsituation ebenfalls verschärfen, weil die Probleme zu Hause zunehmen. «Mit vermehrten Spannungen drohen uns mehr solche Amokläufe», so Wyss.

(amc/sda)

In 31 Fällen interveniert

Die Beratungsfirma von Herbert Wyss ist seit 2000 in 31 Fällen von Gewaltgefährdung zur Hilfe gerufen worden. Sechs davon hätten ein klares Amok-Potenzial aufgewiesen. Die Schüler seien bereits detailliert vorbereitet gewesen, verfügten teilweise bereits über eine Waffe und hätten einen Termin festgesetzt.

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