Fall Ylenia: Was ist mit dem zweiten Mann?

Aktualisiert

Fall Ylenia: Was ist mit dem zweiten Mann?

Im Fall Ylenia steht ein Mann im Mittelpunkt des Interesses: Urs Hans Von Aesch. Für den Journalisten und Sachbuchautor Peter Holenstein, der sich seit Jahren mit Kindsmorden und -entführungen befasst, gibt es aber noch einige Rätsel: Was ist mit dem zweiten Mann? Und warum lief Von Aesch 100 Meter in den Wald, bevor er sich tötete?

Herr Holenstein, «irgendetwas an diesem Szenario geht für mich nicht auf», werden Sie heute im Tages-Anzeiger zitiert und beziehen sich dabei auf die bisher bekannten Fakten im Fall Ylenia. Was geht nicht auf?

Peter Holenstein: Man weiss bis heute so gut wie nichts über den Mann, der im Bürerwald angeschossen wurde und auch nichts Genaues über die Tatumstände. Die Polizei hält sich diesbezüglich sehr bedeckt. Man kann jedoch davon ausgehen, dass der Angeschossene von der Polizei intensiv befragt wird. Es wird wohl aus polizeitaktischen Gründen noch nichts gesagt.

Gibt es für Sie weitere Rätsel?

Beim Suizid von Urs Hans Von Aesch muss von einem sogenannten Bilanz-Suizid ausgegangen werden. In einer solchen verzweifelten Situation überlegt man sich eigentlich nicht mehr gross, wo man sich umbringt. Von Aeschs Leiche wurde jedoch rund 100 Meter von seinem Fahrzeug gefunden. Das passt irgendwie nicht zu einem Bilanz-Selbstmord.

Haben Sie daraus Ihre eigenen Schlüsse gezogen?

Spekulationen bringen nichts. Dass auf Von Aesch ein schwerer Verdacht liegt, ist aufgrund der bisherigen Erkenntnisse naheliegend. Mit Sicherheit kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt nur gesagt werden: Er wird für immer ein mutmasslicher Täter bleiben, weil die Tat aufgrund seines Todes nie abschliessend geklärt werden kann. Es sei denn, er hat ein schriftliches Bekenntnis hinterlassen oder es gibt einen Augenzeugen.

Was sagen Sie zur Vorgehensweise der Polizei?

Die Kripos St. Gallen und Appenzell arbeiteten bislang absolut professionell.

Die Fälle aus den Achtzigerjahren werden nun wieder aufgerollt. Sehen Sie Parallelen?

Offensichtlich ist nur eine: Alle Kinder sind am helllichten Tag verschwunden, und niemand hat etwas Auffälliges gesehen. Dass sich Von Aesch 1984 angeblich in der Nähe von Mogelsberg aufhielt, als dort Peter Roth verschwand, ist nur ein Indiz. Gegen Werner Ferrari gab es damals im Fall Peter Roth viel schwerwiegendere Indizien, und trotzdem reichten diese nicht aus – nicht zuletzt, weil Peter Roth nie gefunden wurde. Aber für die Angehörigen wäre es eine Erlösung, wenn Klarheit in die Geschichten käme. Für alle Familienangehörigen der ungeklärten Fälle aus den 80-er Jahren ist und bleibt es unerträglich, nicht zu wissen, wer der Täter ist. Für sie alle ist eine solche Tat immer erst gestern geschehen, ein Leben lang.

Können diese Fälle überhaupt noch geklärt werden?

Eigentlich nur dann, wenn jemand kommt und sagt: «Ich war es!», und das auch noch beweisen kann. Die kriminaltechnischen Dienste der damals involvierten Kripos haben zwar in einigen Fällen Spuren gesichert, doch ob diese heute noch vorhanden sind, ist fraglich. Üblicherweise werden solche Asservate nur bis zum Ende der Verjährungsfrist aufgewahrt. Diese 20 Jahre sind in allen Fällen abgelaufen. Ich schliesse jedoch nicht aus, dass es z.B. beim Wissenschaftlichen Dienst der Stadtpolizei Zürich noch solche Asservate gibt. Ich glaube kaum, dass daraus noch DNA-Profile erstellt werden können. Bekanntlich will die Interkantonale kriminalpolizeiliche Arbeitsgruppe «Soko Rebecca» dies nun versuchen. Ich frage mich allerdings: Warum erst jetzt? Für mich ist das unbegreiflich. Man hätte das schon vor zehn Jahren nachholen können, mit dem Ziel und Zweck, allfällig gewonnene DNA-Profile über die bestehende DNA-Datenbank laufen zu lassen. Die Taten aus den 80-er Jahren sind ja nicht erst seit dem Fall Ylenia ungeklärt.

Welche Hoffnung haben Sie im Fall Ylenia noch?

Meine grösste Hoffnung ist, dass sie noch lebt. Diese Hoffnung darf man nie aufgeben. Ich bin mir auch sicher, dass man sie finden wird. Das Gebiet, wo sie sein muss, ist zwar gross, kann aber, im Gegensatz zu den 80-er Jahr-Fällen, geografisch eingegrenzt werden.

Und falls ein dritter Mann im Spiel ist?

Dass sich der Fall zu einem Kinderhandel ausweiten könnte, kann ich fast nicht glauben. Das ist in der Schweiz überhaupt noch nie vorgekommen. Aber ausschliessen kann man nichts.

Marius Egger, 20minuten.ch

Zur Person:

Peter Holenstein ist Journalist und Buchautor. Er schrieb die Biografie des vierfachen Kindsmörders Werner Ferrari («Der Unfassbare»). 2006 klärte er nach jahrelangen Recherchen den Mord an der 12-jährigen Ruth Steinmann auf, die 1980 ermordet wurde.

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