Live Action Role PlayDie Schlacht im Sichelwald
Der Magier braut den Trank. Und die Normannen raubmorden, bis sie selbst ins Gras beissen. 20 Minuten Online war an einem LARP.
Ein Live-Action-Role-Play (LARP) im Wald bei den Prés-d'orvin im Juratal. (Kamera/Schnitt: Marion Bangerter; Interviews: Joel Bedetti)
Nach einem Spiel sieht es nicht aus, als wir am Samstagmorgen früh keuchend eine Waldlichtung im verlassenen Juratal Prés d' Orvin erreichen. Vor einer SAC-Hütte stehen einige junge Männer und Frauen in mittelalterlich anmutenden Kostümen etwas unschlüssig im Kreis. In der Hütte sitzen noch mehr mittelalterlich aussehende Figuren und löffeln mit klobigen Holzlöffeln ihr Frühstück aus Holzschüsseln.
Doch wir sind bereits mitten im Spiel - in einem sogenannten LARP, einem Live-Action-Role-Play. Die Leute an den Frühstückstischen sprechen sich auf hochdeutsch mit mystisch klingenden Namen an. Der Wald, der sich um die Lichtung aufbäumt, heisst «Sichelwald». Und nahende Normannen sorgen für Unruhe. Erst aber kommt der Gesandte des Vogtes und beschuldigt jemanden des Mordes. Damit nehmen die blutigen Händel ihren Anfang(siehe Video).
Drehbuch oder Improvisation
LARPs sind komplexe Spiele. In einer sorgsam inszenierten Fantasiewelt spielt sich eine Geschichte ab, die teilweise an ein vorgegebenes Drehbuch gebunden ist, den Spielern aber auch Raum zur eigenen Gestaltung gibt. «Normalerweise ist der grobe Handlungsverlauf definiert. Würde man dasselbe Spiel zehnmal spielen, käme es zehnmal anders heraus», sagt Isabelle Flückiger, welche das von 20 Minuten Online besuchte Spiel mitorganisierte.
Zwei Arten von Figuren bevölkern die Szenerie: Spielercharakter (SC), die eigenständig agieren, und Nichtspielercharakter (NSC), die von den Spielorganisatoren (Orgas) gezielt eingesetzt werden, um die Handlung in den geplanten Bahnen zu halten. «Es ist immer der Konflikt, ob man ein Spiel jetzt eng an ein Drehbuch bindet oder ihm freien Lauf lässt», weiss Flückiger. «Die einen improvisieren gern, die anderen machen lieber klassisches Theater.»
100 Hardcore-Larpianer
Die LARP-Spiele gelangten in den 90er-Jahren über Deutschland in die Schweiz. Seither finden gemäss Isabelle Flückiger jährlich rund 40 «Conventions» genannte Spiele statt. Mehrere Genres wie Vampire und Science Fiction und Cyberpunk (im Stil der «Mad Max»-Filme) haben sich etabliert. Am populärsten sind jedoch die Conventions des klassischen Genres, welches sich aus Elementen von Mittelalter und der «Herr der Ringe»-Heimat Mittelerde zusammensetzt. «In diesem Genre finden jährlich etwa zehn bis fünfzehn Spiele statt», sagt Flückiger, selbst regelmässige Teilnehmerin an diesen Spielen.
Den harten Kern dieser Larp-Sparte beziffert Flückiger auf 100 Personen, 200 bis 300 Personen gehörten zum erweiterten Kreis der Rollenspiel-Freunde. In den vergangenen Jahren sei die Grösse der Szene stabil geblieben, sagt Flückiger. «Vor zehn Jahren, als die Herr der Ringe-Trilogie im Kino lief, hatten wir eine Zeit lang enormen Zuwachs, aber das hat sich wieder gelegt.» Der harte Kern der Szene trifft sich nicht nur in Vollmontur an den Spielen, wie dem Larpkalender zu entnehmen ist, sondern auch zum Rollenspiel mit Bleistift und Papier in der gemütlichen Stube, zum wöchentlichen Stammtisch in einer Zürcher Quartierbeiz oder zum gemeinsamen Silvester im Club Brainmelt (Gehirnschmelze).
Geschichte Reloaded
Rollenspiele mit Rittern und Elfen sind neben Mittelalterfesten und der «Enactment-Bewegung» Teil einer populären Geschichtskultur, welche in den vergangenen Jahren Zulauf gefunden hat und die Vergangenheit erlebnisbetont wieder auferstehen lassen will. Während die Rollenspiele ungeniert Elemente aus Fantasy-Literatur («Herr der Ringe») und dem Hollywood-und-Kinderbuch Mittelalter (edle Ritter und Burgfräulein) vermischen und Mittelalterfeste mit Musik, Kleidern und Esswaren aufwarten, die zwar nach Mittelalter aussehen, damals aber noch nicht existierten, hat sich die «Enactment-Bewegung» ganz der historischen Wirklichkeit verschrieben. Ihre Mitglieder fertigen möglichst originalgetreu Uniformen römischer Legionäre und stellen Schlachten genau so dar, wie sie sich nach dem heutigen Stand der Forschung zugetragen haben.
Abkürzungen
SC: Spielercharakter
NSC: Nichtspielercharakter
Orga: Organisator