Baader Meinhof Komplex«Wieso bringen die mich jetzt noch um?»
1979 überfielen vier RAF-Terroristen die Schweizerische Volksbank in Zürich. Der Polizist Bernhard Pfister wurde dabei von drei Kugeln getroffen. Mit 20 Minuten Online sprach er über seine letzten Gedanken im Shopville und über die Verfilmung des Baader Meinhof Komplexes.
Bernhard Pfister, Sie waren wenig begeistert, als wir Sie für das Interview anfragten.
Für die Generation bis 30 sind die Ereignisse im Shopville (siehe Infokasten) nichts . Die erinnern sich nicht daran. Deshalb stehe ich auch nicht gerne in der Öffentlichkeit und stelle irgendetwas dar.
Jetzt kommt aber der Film «Der Baader Meinhof Komplex» ins Kino. Finden Sie das gut?
Die Frage ist, was rausschaut. Ich bin jetzt 60 Jahre alt und in der Zeit aufgewachsen, als in Zürich und überall demonstriert wurde. Ich war auch bei gewissen Sachen kritisch und habe Verständnis, dass die Jugend sich aufbäumte. Aber die RAF war total kriminell. Die nahm keine Rücksicht mehr auf andere und vergass ihr Ziel.
Hat man denn in der Schweiz damals gemerkt, was in Deutschland abgeht?
Klar, die RAF hat man gekannt. Wir haben aber nie gedacht, dass das Problem in die Schweiz kommt. Das war ein deutsches Problem.
Gab es Verbindungen in die Schweiz?
Ich kann es nicht beweisen, aber die Verbindungen waren da. Es waren prominente Leute, die Verbindung zur RAF hatten. Teilweise Journalisten, die politisch tätig waren.
Woraus haben Sie das geschlossen?
Dass nach einem Banküberfall gerade vier entwendete Velos vor der Bank standen, war sicher kein Zufall. Die wurden bereitgestellt. Das sind alles so Sachen. Die hatten auch konspirative Wohnungen. Man hat in Zürich auch Waffen gefunden.
Wie aktuell empfanden Sie 1979 die terroristische Gefahr?
Nach 1977, als diese Flugzeugentführung in Mogadischu schiefging und nachdem die erste Generation um Baader, Ensslin uns Raspe Selbstmord begangen hatte, habe ich gedacht, dass es ruhiger wird. Meine Idee war, dass sich die langsam zurückziehen und eingesehen haben, dass es nichts bringt. Und dann kam eben 1979.
Haben Sie beim Banküberfall daran gedacht, dass es die RAF sein könnte?
Nein, niemals. Ich habe gedacht es wäre die Alfa-Bande. Das waren Bankräuber, die von Italien aus Banküberfälle verübten.
Und plötzlich standen Sie alleine den Terroristen gegenüber.
Als wir auf den Bahnhofplatz vorfuhren, klopfte es an der Scheibe und ein Passant sagte, die Verdächtigen seien ins Shopville geflüchtet. Ich bin dann ausgestiegen und wollte auf den Kollegen warten. Alleine hinunter zu gehen, wäre dumm, also dachte ich mir, ich warte. Aber es schien eine Ewigkeit vorbeizugehen.
Dann gingen Sie doch alleine hinterher?
Ich dachte, wenn die ja bereits da runter sind, kann es für mich nicht so gefährlich sein. Ich wollte einfach die Fluchtrichtung und das Signalement befragen und mit den Passanten sprechen. Dann kam ich ins Shopville herunter – und da waren massenhaft Leute, ich hätte nie gedacht, dass jemand eine Waffe ziehen könnte. Dann habe ich gehört, wie jemand sagte: «Da ist er.» Da stand dann, in vielleicht 7 oder 8 m Abstand, einer mit einer Waffe. Und dann hat es geballert.
Haben Sie auch geschossen?
Ja. Ich habe auch gleich die Waffe gezogen, trotz Skrupeln wegen der vielen Leute. Aber ich musste. Meine sieben Schüsse waren schon draussen, als ich dachte, ich hätte erst drei geschossen. Das ging so schnell.
Und was geschah dann?
Der erste Schuss hat mich praktisch ausser Gefecht gesetzt. Eine Kugel hatte mich durch den Unterarm und den Oberarm getroffen. Ich habe dann mit einer Hand fertig geschossen. Die leere Waffe liess ich fallen. Ich blieb vor der Toilette unter der Rolltreppe liegen. In dieser Zeit, als ich mich abwandte, hat mich noch ein Schuss in den Fuss getroffen. Als ich am Boden lag, wurde mir noch von hinten in den Rücken geschossen.
Er hat weiter auf Sie eingeschossen?
Genau. Ich lag da schon am Boden und dachte: Was wollen die noch, wieso bringen die mich jetzt einfach noch um? Ich konnte mich ja nicht mehr wehren und war widerstandslos. Es war wirklich nur noch ein Abmurksen.
Was haben Sie da gedacht?
Jetzt leert sich dein Kopf und du schläfst rüber. Das waren meine Gedanken. Bis ich dann einen Kollegen hörte, der sagte, die Sanität käme. Das hat mir irgendwie Hoffnung gemacht. Im Spital habe ich dann erfahren, dass noch eine Passantin erschossen wurde. Das hat mich ziemlich fertig gemacht, weil ich nicht wusste, ob es von mir war. Das hat mich bedrückt. Irgendwann wurde ich dann operiert und meine Frau kam zu Besuch.
Als Sie dem Schützen gegenüberstanden, wussten Sie da, wer es war?
Nein, das ging so schnell. Sie haben mir später Fotos gezeigt von Klar, Wagner und weiteren RAF-Terroristen. Es könnte Klar gewesen sein. Mit Sicherheit kann ich es aber nicht sagen, wahrscheinlich haben ja mehrere geschossen.
Haben Sie danach die RAF und die Entwicklung intensiver weiterverfolgt?
Ja, schon. Wenn etwas in der Zeitung stand, habe ich es schon gelesen. Aber mich hat das schon vorher interessiert. Ich war damals ja auch politisch sehr interessiert - mehr als heute. Je länger es aber dauerte, desto mehr geriet die RAF für mich in den Hintergrund.
Haben Sie je Groll gehegt gegen die RAF oder einen dieser Männer?
Nein. Ich wurde nach den Ereignissen oft auch von den Medien darauf angesprochen, aber ich bin nicht der Typ, der hasst. Ich hatte nie Rachegelüste. Auch nicht, als ich bei der Gerichtsverhandlung Wagner gegenübersass.
Auch als die Ersten 2003 begnadigt wurden?
Ja. Ich habe darauf vertraut, dass die Kommission die Anträge richtig prüft. Ich wurde von einem Journalisten auch gefragt, ob ich mit diesen Leuten zusammen an einen Tisch sitzen würde. Ich wäre damit einverstanden, wenn offen darüber gesprochen werden könnte, wer wo geschossen hatte und wie alles ablief. Dies wird aber kaum möglich sein.
Hat Sie denn jemand von diesen Leuten angerufen oder sich nach Ihnen erkundigt?
Nein. Das habe ich auch nicht erwartet. Die haben das nie bereut. Klar wurde ja zum Beispiel deswegen auch noch nicht begnadigt.
Haben Sie es je bereut ins Shopville gegangen zu sein?
Nein. Das muss ich jetzt sagen. Ich habe es als Pflicht angesehen. Es wäre schlimmer für mich gewesen, wenn es später geheissen hätte, ein Polizist sei oben gestanden und unten sei eine Schiesserei gewesen. Wenn ich mich versteckt hätte – ich glaube, ich wäre heute nicht mehr Polizist.
RAF-Banküberfall in Zürich
Am 19. November 1979 überfielen die RAF-Mitglieder Christian Klar, Rolf Clemens Wagner, Peter-Jürgen Boock und Henning Beer in Zürich die Schweizerische Volksbank an der Bahnhofstrasse. Sie erbeuteten 548 000 Franken und flohen.
Auf der Flucht durch die Shopville-Unterführung kam es zum Schusswechsel mit der Polizei. Eine unbeteiligte Passantin wurde dabei tödlich getroffen und der Polizist Bernard Pfister schwer verletzt. Klar, Boock und Beer entkamen und verletzten zwei weitere Personen schwer auf ihrer weiteren Flucht. Rolf Clemens Wagner wurde festgenommen und 1980 in Winterthur verurteilt.