«Energiewende eröffnet viele Chancen»

Aktualisiert

Die Welt nach dem GAU«Energiewende eröffnet viele Chancen»

Was bleibt nach der Katastrophe von Fukushima? Auf welche Energien soll die Schweiz setzen? Ist der AKW-Ausstieg nachhaltig? Rolf Wüstenhagen von der Uni St. Gallen wagt einen Ausblick.

von
P. Dahm

Am 11. März 2011 begann nach einem Tsunami die Reaktorkatastrophe von Fukushima. War das der grösste anzunehmende Unfall (GAU)? War das alles?

Rolf Wüstenhagen: Fukushima war der grösste Unfall in der Geschichte der Kernenergienutzung seit dem Unglück von Tschernobyl 1986. Der Verlauf der beiden Vorfälle war aber unterschiedlich: In Fukushima wurden die Emissionen nicht so hoch in die Atmosphäre getragen, dafür wurde viel Radioaktivität ins Meer eingeleitet. Zudem waren vier Reaktoren betroffen und nicht nur einer. Bis heute ist nicht klar, was in Japan genau passiert ist. Die Informationen der Regierung lassen da noch Fragen offen.

Wann werden wir das genaue Ausmass kennen?

Es wird mindestens zehn Jahre dauern, bis die zerstörten Reaktoren vollständig stillgelegt sein werden. Auch die gesundheitlichen Folgen der freigesetzten radioaktiven Strahlung werden wir erst viel später kennen.

1986 Tscherschnobyl, 2011 Fukushima: Ist nun bis zum nächsten GAU wieder 25 Jahre Ruhe?

Wie heisst es immer so schön in Aktienfonds-Prospekten: Die vergangene Performance bringt keine Gewissheit für die zukünftige Performance. Das ist hier wohl auch so. Fukushima hat gezeigt, dass ein reales Risiko vorhanden ist. Auf der einen Seite hat uns die Katastrophe für diese Risiken sensibilisiert, was künftigen Unfällen vielleicht vorbeugt. Auf der anderen Seite haben wir gemerkt, dass auch sehr seltene Konstellationen eintreten können – mit gravierenden Folgen.

Nach dem GAU ging ein Aufschrei durch Politik und Öffentlichkeit, der aber auch schnell wieder verhallt ist. Halten Sie die Anti-Atom-Stimmung für nachhaltig?

Ich denke nicht, dass der Aufschrei bereits verhallt ist. In der Schweiz haben nacheinander Bundesrat, Nationalrat und Monate später auch der Ständerat sehr konsistente Entscheidungen getroffen haben, sowohl in der Politik als auch bei Unternehmen und privaten Investoren wird mit viel Engagement an der Umsetzung dieser Entscheidungen gearbeitet. Insofern hat sich ein Richtungswechsel ergeben, der das Prädikat «nachhaltig» verdient.

Was nützt der national Ausstieg, wenn in Frankreich und Tschechien Reaktoren weiterarbeiten?

Auch Frankreich merkt, dass es eine schlechte Risiko-Diversifizierung betrieben hat, indem es vor allem auf eine Technologie gesetzt hat. Zudem gehen zwei Nachbarländer einen ähnlichen Weg wie die Schweiz: Deutschland hat einen noch schnelleren Ausstieg beschlossen, Italien hat mit 96 Prozent der Wählerstimmen den geplanten Wiedereinstieg in die Kernenergie abgelehnt, den Silvio Berlusconi forcierte. Wir befinden uns in guter Gesellschaft.

Wer aus der Atomenergie aussteigt, braucht Alternativen, gleichzeitig belasten Energiequellen wie Öl, Kohle und Gas die Umweltbilanz. Kann dieses Dilemma gelöst werden?

In der Schweiz haben wir die komfortable Situation, bereits 60 Prozent des Strombedarfs durch Wasserkraft decken zu können. Im Vergleich zu anderen Ländern gibt es hierzulande also gute Voraussetzungen, um vollständig mit erneuerbaren Energieträgern auszukommen. Dazu müssen wir neben der Wasserkraft ein Portfolio aus erneuerbaren Energien von Wind über Sonne und Biomasse bis hin zur Geothermie [Erdwärme, Anm. d. Red.] engagiert nutzen.

Sie sind Optimist: Umweltschützer wehren sich immer wieder erfolgreich gegen den Bau von Wasser- und Windkraftwerken: Behindern nicht gerade sie die Energiewende?

Ich denke, die gesellschaftliche Akzeptanz solcher Anlagen ist ein wichtiges Anliegen. Protest kommt von verschiedenen Seiten, nicht nur von Umweltschützern, auch von Anwohnern. Wenn Projektentwickler damit konstruktiv umgehen und die Sorgen ernst nehmen, finden sich Lösungen. Die hohe generelle Zustimmung, die erneuerbare Energien in der Bevölkerung geniessen, ist dafür eine gute Voraussetzung.

Gibt es eine «Zauberformel» was den Mix aus erneuerbaren Energien angeht?

Nicht direkt. Man kann für jede einzelne Technologie Potenzialstudien durchführen, aber diese ergänzen sich untereinander. Es ist sinnvoll, Solar- und Windenergie zu kombinieren, weil sie zu unterschiedlichen Zeiten Strom liefern. Das ist besser, als nur auf eine Quelle zu setzen. Insgesamt ist ein Ausstieg bis 2034 realistisch. Wichtig ist dabei auch, die Energieeffizienz nicht aus den Augen zu verlieren.

Gegner eines Atom-Ausstiegs argumentieren oft mit dem Energieaufwand, der mit der Herstellung von Solarzellen oder sparsamen Elektrogeräten verbunden sei. Was ist da dran?

Das ist eine überholte Vorstellung. Solarzellen haben heute eine energetische Amortisationszeit von zwei bis drei Jahren. Bei einer Lebensdauer von 20 bis 30 Jahren produzieren sie mindestens zehn Mal so viel Energie, wie für ihre Herstellung gebraucht wurde. Was Elektrogeräte angeht, so muss man die Öko-Bilanzen von Fall zu Fall sehen: Wenn der alte Kühlschrank erst zwei Jahre alt ist, ist es etwas anderes, als wenn er 20 Jahre alt ist.

Allerdings hat der Mensch die Tendenz, immer noch mehr Geräte anzuschaffen.

Die wachsende Anzahl elektronischer Geräte im Haushalt ist ein Problem. Wenn der alte Kühlschrank als Zweitgerät im Keller weiterläuft, ist durch den Kauf des neuen tatsächlich nichts gewonnen.

Sie haben die Schweiz bei der Erarbeitung des neuesten Berichts des Weltklimarats vertreten. Wo machen Sie im internationalen Dialog die grössten Hindernisse aus?

Ein Herausforderung der internationalen Klimapolitik ist die Überwindung des «Mikado-Prinzips». Viele denken noch: Wer sich zuerst bewegt, verliert. Für echten Fortschritt im Klimaschutz müssen wir zu der Einsicht kommen, dass der, der sich zuerst bewegt, etwas zu gewinnen hat und hierfür sind erneuerbare Energien wiederum ein gutes Beispiel. Die Chinesen klangen in Durban beim letzten Klima-Gipfel konstruktiver als das bei früheren Verhandlungen der Fall war. Das hat auch damit zu tun, dass sie viele Solarzellen und Windturbinen exportieren. Solche Win-Win-Situationen braucht es, damit der internationale Klimaschutz vorankommt.

Wo steht die Schweiz im Vergleich?

Schon vor 20 Jahren war die Schweiz eine Hochburg der Solarenergie-Forschung. Andere Ländern haben seither die Umsetzung konsequenter vorangetrieben. Ich glaube, dass die Schweiz mit der Entwicklung, die in den letzten zwölf Monaten angestossen worden ist, das Potenzial hat, wieder ganz vorne mit dabei zu sein.

Alles in allem blicken Sie trotz der Zäsur von Fukushima 2011 positiv ins neue Jahr?

Ja, sehr. Ich denke, wir werden einmal auf das Jahr 2011 als Beginn einer energiepolitischen Aufbruchstimmung zurückblicken. Im neuen Jahr gibt es viel zu tun, um Massnahmen auf den Weg zu bringen. Aber ich sehe auf vielen Ebenen ermutigende Zeichen, dass sich eine positive Dynamik entwickelt. Das wird langfristig zu einer risikoärmeren Energieversorgung führen als heute. Und es eröffnet Schweizer Unternehmen neue Chancen auf internationalen Wachstumsmärkten.

Prof. Dr. Rolf Wüstenhagen ist Direktor des Instituts für Wirtschaft und Ökologie der Universität St. Gallen. Er ist Mitglied des «Intergovernmental Panel on Climate Change» (IPCC) und war bis 2010 Teil der eidgenössischen Energieforschunskommission.

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