«Schlagen, beschimpfen, Hoden quetschen»
Wenn Marco W. in der Türkei eine Strafe absitzen muss, dann droht ihm ein Martyrium. Ein ehemaliger Häftling berichtet im Gespräch mit 20minuten.ch über die Zustände im türkischen Strafvollzug.
Mit Misshandlungen im Genitalbereich, Schlägen, Vergewaltigungen und Drohungen werden die Gefangenen in türkischen Gefängnissen gefügig gemacht, Geständnisse erpresst und Regimegegner gebrochen. Zwar verbessert sich die Situation laut den Jahresberichten 2006 und 2007 von Amnesty International (AI). Dennoch ist der Aufenthalt in einem türkischen Gefängnis eine gefährliche Angelegenheit.
Gefährdete Kriminelle
Während die Berichte von Folter an politischen Gefangenen zurückgehen, geraten die gewöhnlichen Straftäter, als welcher der deutsche Urlauber Marco W. gilt, in den Fokus der Folterer. Laut AI sind die gewöhnlichen Straffälligen «einer erhöhten Gefahr ausgesetzt, Misshandlungen zu erleiden.» So wurden beispielsweise im Oktober 2006 fünf Jugendliche im Alter zwischen 15 und 18 Jahren während der Eröffnung eines Kaufhauses in der nordtürkischen Stadt Ordu verhaftet. Sie berichteten, von Polizisten auf der Wache erniedrigt, geschlagen und bedroht worden zu sein.
Gefängnis: Typ E
Das türkische Strafvollzugsrecht regelt die Unterbringung der Gefangenen in den verschiedenen Gefängnistypen von D bis M. Die Gefängnisse des Typs D und F sind für politische Gefangene und Isolationshaft vorgesehen, für Folter berüchtigt und mit teils unterirdischen Zellen ausgestattet. Das E-Typ-Gefängnis, in dem der deutsche Urlauber Marco W. einsitzt, ist ein Untersuchungsgefängnis, in welchem die Insassen in Massenzellen untergebracht sind, was gewalttätige Übergriffe durch das Wachpersonal erschwert. Marco W. gab gegenüber der türkischen Zeitung «Hurryiet» an, sein Aufenthalt im Gefängnis von Antalya sei bisher den Umständen entsprechend annehmbar gewesen. Das Erscheinungsbild Weiss' im Interview mit «RTL» spricht eine andere Sprache. W. ist mager, seine Augenringe tiefschwarz, er macht einen verlorenen Eindruck.
Der Knast ist teuer
Der 52-jährige A. (Name der Redaktion bekannt) war selbst in einem türkischen Gefängnis inhaftiert und hält Kontakt zu Bekannten, die in der Türkei einsitzen. Der Türke kurdischer Herkunft bezweifelt, dass es Marco W. so gut geht, wie er der Zeitung «Hurriyet» erzählt hat und berichtet im Interview mit «20minuten.ch» über die Zustände in türkischen Gefängnissen.
Herr A., Marco W. zeigt sich zufrieden über seine Haftbedingungen in der Türkei. Wie glaubwürdig sind diese Aussagen?
Das weiss ich nicht, aber man sollte nichts beschönigen. Haft in einem türkischen Gefängnis ist nicht angenehm. Und auch nicht billig.
Das kostet etwas?
Ja. Die Verpflegung wird auf einem Minimum gehalten. Etwas Pasta, Brot und Suppe vielleicht. Es reicht nicht, um satt zu werden. Deshalb ist man gezwungen, beim Wachpersonal Bestellungen aufzugeben. Dieses erfüllt alle Wünsche, man kann sich auch Essen aus seinem Lieblingsrestaurant bestellen. Die Preise sind natürlich um mindestens 50 Prozent überteuert.
W. sagte gegenüber der türkischen Zeitung «Hürriyet», er habe im Gefängnis Freunde gewonnen. Gibt es Knastfreundschaften in Massenzellen?
Nein, eher im Gegenteil. Ich denke, dass Marco W. in einer misslichen Situation steckt. Nicht nur die Wächter, auch die Gefangenen werden meiner Einschätzung nach alles unternehmen, um möglichst viel Geld aus ihm rauszupressen. Einen Unterschied in der Unterbringung zwischen Ausländern und Einheimischen gibt es nicht.
Haben es Sexualstraftäter besonders schwer?
Nein. Die Leute sind zwar gesellschaftlich ähnlich geächtet, wie in Westeuropa, aber in den Gefängnissen haben sie eine Lobby.
Was meinen Sie mit Lobby?
Die türkischen Knäste sind voll von solchen Leuten. Als Sexualstraftäter ist man nur einer unter vielen. Man ist nicht schlechter dran, als die übrigen Häftlinge. Der Status der Gefangenen ist allgemein sehr niedrig. Ein Häftling hat keine Menschenrechte, es wird ihm keinerlei Respekt entgegengebracht, er ist praktisch vogelfrei im Gefängnis. Schläge und Beschimpfungen durch das Wachpersonal sind in türkischen Gefängnissen die Norm. Für einen 17-jährigen Jungen ist dieser Knastaufenthalt sicher eine sehr schlimme Erfahrung.
Wie sieht es mit Schlägereien in den Zellen aus?
Es gibt wohl Unfriedlichkeiten, wenn gegen 30 Männer auf engem Raum sitzen. Das wird in Antalya nicht anders sein. Die räumlichen Verhältnisse sind in allen Gefängnissen ungünstig.
Und Gewalt in Verhören, während der Untersuchungshaft?
Es ist wohl verbreitet bei politischen Gefangenen, aber in der normalen Untersuchungshaft nicht sehr massiv. Doch Schläge, um eine Unterschrift oder ein Geständnis zu erlangen, sind sicher kein Aufreger. Das geht schon.
Interview: Maurice Thiriet, 20minuten.ch
Sexuelle Handlungen mit Minderjährigen - Das Schweizerische Recht
1. Wer mit einem Kind unter 16 Jahren eine sexuelle Handlung vornimmt,
es zu einer solchen Handlung verleitet oder es in eine sexuelle Handlung einbezieht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft.
2. Die Handlung ist nicht strafbar, wenn der Altersunterschied zwischen den Beteiligten nicht mehr als drei Jahre beträgt.
3. Hat der Täter zur Zeit der Tat das 20. Altersjahr noch nicht zurückgelegt und liegen besondere Umstände vor oder ist die verletzte Person mit ihm die Ehe oder eine eingetragene Partnerschaft eingegangen, so kann die zuständige Behörde von der Strafverfolgung, der Überweisung an das Gericht oder der Bestrafung absehen.
4. Handelte der Täter in der irrigen Vorstellung, das Kind sei mindestens 16 Jahre alt, hätte er jedoch bei pflichtgemässer Vorsicht den Irrtum vermeiden können, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe.