Es droht der Abschuss

Aktualisiert

Ausgebüxte KuhEs droht der Abschuss

Am 24. Mai konnte Yvonne vor dem sicheren Tod fliehen – seither sucht sie halb Bayern. Nun sollen Artgenossen das Braunvieh aus dem Wald locken.

Alle machen Jagt auf «Problemkuh» Yvonne, doch diese versteht ihr Versteckspiel perfekt zu betreiben.

Alle machen Jagt auf «Problemkuh» Yvonne, doch diese versteht ihr Versteckspiel perfekt zu betreiben.

Mit einem Betäubungsgewehr bewaffnet steht Tierarzt Karl Weissl in einem Waldstück nahe Mühldorf und wartet. Er wartet auf «Yvonne» - die «Problemkuh». Seit rund zwei Monaten hält sich das flüchtige Tier im Dickicht versteckt. Tierschützer sind seit Tagen auf den Beinen, um das zum Abschuss freigegebene Rind zu retten und auf einen Gnadenhof bei Deggendorf zu bringen. In der Nacht zum Freitag liess sich Yvonne kurz blicken - und entkam erneut.

Am anderen Ende des Waldstücks steht der Einsatzleiter des Rettungstrupps, Hans Wintersteller. Er hält einen Lageplan in den Händen und weist seine Helfer ein. Auf dem Plan sind drei Waldstücke abgebildet. «Dort hat Yvonne ihre bevorzugten Schlafplätze», sagt der 44-Jährige. Die Männer müssen ein 25 Hektar grosses Gebiet durchsuchen.

Kuh Yvonne baut auf ihre Urinstinkte

Britta Freitag von der deutsch-österreichischen Tierschutz-Initiative «Gut Aiderbichl» sagt bewundernd: «Sie ist die klügste Kuh, die wir jemals kennengelernt haben.» Das sechs Jahre alte Tier habe in den vergangenen Wochen in der Wildnis seine «natürlichen Urinstinkte» wiedergewonnen und bewege sich nun mit ausserordentlichem Geschick durch den Wald. Die «Aiderbichl»-Initiative hat Yvonne bereits ihrem früheren Besitzer abgekauft. Sie betreibt auch den Gnadenhof, auf dem Yvonne ihren Lebensabend verbringen soll.

Vor zwei Monaten war die Kuh von einem Bauernhof in der oberbayerischen Gemeinde Aschau ausgebüxt, seither lebt sie wie ein Wildtier in dem rund 16 Kilometer entfernten Wald nahe der Gemeinde Zangberg - zunächst ungestört. Erst in der vergangenen Woche verschärfte sich die Situation. Das Tier querte eine Staatsstrasse und kollidierte dabei um ein Haar mit einem vorbeifahrenden Polizeiauto.

Das zuständige Landratsamt in Mühldorf gab Yvonne daraufhin zum Abschuss frei. «Es hat für uns Priorität, dass die Kuh lebend gefangen wird», sagt Behördensprecherin Julia Hausmann. Die Jäger haben deshalb neben einer scharfen Waffe auch ein Betäubungsgewehr dabei. Scharf geschossen werden solle nur, wenn akute Gefahr für den Strassenverkehr bestehe, beteuert Hausmann. Auf der Strasse durch das Waldgebiet wurde die erlaubte Geschwindigkeit aus Sicherheitsgründen auf Tempo 30 reduziert.

Besuch von der besten Freundin

Seither sind Jäger und Tierschützer gemeinsam auf der Pirsch. Aber alle Versuche, die Kuh einzufangen, schlugen bislang fehl. Nur des Nachts zeige sich die Kuh, sagt Koordinator Wintersteller. «Weil sie weiss, dass wir dann nicht auf sie schiessen können.»

Vor wenigen Tagen wurden Yvonnes «beste Freundin», eine Kuh namens Waltraud, sowie ein Kalb auf eine Weide nahe des Waldes bei Zangberg gebracht. Die Tiere lebten einst mit Yvonne zusammen, jetzt sollen sie als Lockmittel dienen. Doch weder diese List, noch eine Suche mit Spürhunden bringt an diesem Freitag den gewünschten Erfolg. Für Samstag hat man Dutzende Freiwilliger Helfer organisiert. Dann soll der Wald in einer Grossaktion durchstreift werden.

Wintersteller starrt seit Stunden konzentriert in das dichte Nadelgehölz. Er hat ein Lasso um den Oberkörper geschwungen. Auch wenn Yvonne einen Betäubungsschuss abbekommt, könnte sie noch kilometerweit laufen. Deshalb müssten Helfer sie rasch mit einem Seil einfangen. Diesen Moment hat Wintersteller schon oft im Kopf durchgespielt. Sogar geträumt hat er von der Kuh: «Dass ich auf sie zulaufe und das Lasso um ihren Kopf schwinge.» Dann richtet er den Blick wieder auf den Wald. «Ich spüre es, sie ist in der Nähe.» (dapd)

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