Katastrophe vor GerichtWas zerstörte den Mythos Concorde?
Zehn Jahre nach dem Concorde-Absturz bei Paris sucht ein Gericht nach den Schuldigen für die Katastrophe. Angeklagt sind die Continental Airlines und fünf Einzelpersonen. Ob es zu einer Verurteilung kommt, ist fraglich.
Der Start der brennenden Concorde, aufgenommen aus einem fahrenden Lastwagen. (Video: YouTube)
Um Geld geht es in dem Verfahren nicht, das am Dienstag in Cergy-Pontoise bei Paris beginnt. Die Angehörigen der 113 Opfer – darunter 97 Deutsche, die sich in New York für eine Karibik-Kreuzfahrt einschiffen wollten – wurden bereits ein Jahr nach dem Unglück grosszügig entschädigt. Es geht um die Schuldfrage, doch deren Klärung ist komplex, weshalb es fast zehn Jahre von der Katastrophe bis zum Prozess dauerte.
Dabei ist der Ablauf klar: Am 25. Juli 2000 beschleunigte eine Concorde der Air France auf der Startbahn des Flughafens Charles de Gaulle, als mindestens ein Reifen des linken Fahrwerks platzte. Die herumfliegenden Reifenteile durchschlugen den Treibstofftank in der linken Tragfläche, das auslaufende Kerosin setzte das Triebwerk in Brand. Weil ein Abbruch des Starts nicht mehr möglich war, riss der Pilot das Flugzeug nach oben und versuchte eine Notlandung auf dem nahen Flugplatz Le Bourget. Doch nach rund einer Minute kippte die Concorde zur Seite und stürzte wie ein Stein auf ein Motel in der Ortschaft Gonesse.
Metallstreifen oder Wartungsfehler?
Die genaue Ursache des Unglücks ist umstritten, es gibt drei Theorien. Gemäss dem offiziellen Untersuchungsbericht hatte ein rund 40 Zentimeter langer Metallstreifen aus Titan, den eine zuvor gestartete DC-10 der amerikanischen Continental Airlines verloren hatte, den Reifen aufgeschlitzt. Die Anklageschrift wirft Continental fehlerhafte Reparaturarbeiten vor, das superharte Metall Titan sei zudem für derartige Zwecke nicht zugelassen. Neben der US-Airline sind auch zwei Mitarbeiter ihrer Pariser Bodencrew angeklagt.
An der offiziellen Version gibt es jedoch einige Zweifel. Der Fernsehsender Canal Plus strahlte kürzlich einen Film aus, in dem zahlreiche Augenzeugen behaupteten, die Concorde habe auf der Startbahn bereits Feuer gefangen, bevor sie über das Metallteil rollte. Weshalb eine zweite Theorie ins Blickfeld rückt: Der Fehler passierte bei der Wartung des linken Fahrwerks der Concorde. Auf den Reifen habe zu viel Gewicht gelastet, weshalb einer platzte, als die Maschine beim Start über eine Unebenheit gerollt sei.
Air France gibt den Wartungsfehler zu, behauptet aber, er sei nicht für das Unglück verantwortlich. Jedenfalls sitzt kein Vertreter der französischen Airline auf der Anklagebank. Olivier Metzner, der Hauptverteidiger von Continental Airlines, sprach gegenüber dem «Figaro» von einer «Omerta» und dem Versuch, den Amerikanern die Schuld zuzuschieben. Er kündigte an, eine dreidimensionale Rekonstruktion des Unglücks zeigen zu wollen, die belegen soll, dass das Flugzeug bereits acht Sekunden oder 700 Meter vor dem ominösen Metallstreifen gebrannt habe.
Konstruktionsfehler vertuscht?
Daneben gibt es noch die Variante, wonach Konstruktionsfehler bei den Reifen und den Treibstofftanks für das Unglück verantwortlich waren. Deshalb sind zwei Mitarbeiter des Concorde-Herstellers Aerospatiale und ein Verantwortlicher der französischen Luftfahrtbehörde DGAC angeklagt. Experten verweisen darauf, dass es schon früher ähnliche Vorfälle gab, bei denen wie durch ein Wunder nichts geschah. Um den «Stolz der Nation» nicht zu gefährden, habe man die Mängel vertuscht und aus Kostengründen auf Massnahmen wie festere Reifen und eine Verstärkung der Treibstofftanks verzichtet.
Letztlich zweifeln Beobachter daran, dass eine einwandfreie Klärung der Schuldfrage nach zehn Jahren überhaupt möglich ist. Die Wahrscheinlichkeit ist deshalb gross, dass das aufwändige Verfahren ohne Schuldspruch enden wird. Der Prozess soll mehrere Monate dauern, ein Urteil könnte erst im Herbst fallen.
Mythos Concorde
Die Concorde ist bis heute das einzige Überschall-Verkehrsflugzeug der Welt neben der russischen TU-144. Sie wurde in den 60er Jahren von der französischen und britischen Luftfahrtindustrie entwickelt und stiess anfangs auf grosses Interesse. Dieses erlahmte jedoch nach dem «Ölschock» der 70er Jahre wegen der hohen Betriebskosten. Schliesslich kauften nur Air France und British Airways auf Druck ihrer Regierungen den Prestigejet. Ab 1976 wurde die Concorde im regulären Liniendienst geflogen. Bis zur Katastrophe von Paris am 25. Juli 2000 gab es kein gravierendes Unglück. Knapp 18 Monate später wurde der Flugbetrieb wieder aufgenommen, doch wegen ausbleibenden Passagieren und neuen Sicherheitsmängeln wurde die Concorde Ende 2003 endgültig ausgemustert.