4000 Schwule hingerichtet

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Auf der Flucht4000 Schwule hingerichtet

2007 hat der iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad mit der Behauptung aufhorchen lassen, im Iran gebe es keine Homosexuellen. Doch die Realität im Gottesstaat spricht eine andere Sprache.

Scheherezade Faramarzi
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Scheherezade Faramarzi
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Hinrichtung von zwei Jungen in Mashhad. Angeblich haben sie zwei Buben vergewaltigt.

Hinrichtung von zwei Jungen in Mashhad. Angeblich haben sie zwei Buben vergewaltigt.

Das lachsrosa Haus hat schon bessere Tage gesehen. Von der schäbigen Fassade bröckelt die Farbe. Kartons, Zeitungspapier und Plastik verdecken die vielen leeren Fensterhöhlen. Es lohnt nicht, die Scheiben zu ersetzen. Die Jugendlichen aus der Nachbarschaft schlagen sie sowieso wieder ein. Sie nennen das Haus «das Schwulenhaus».

Das zweistöckige Gebäude im Viertel Fez Kichak in der türkischen Stadt Kayseri ist zur inoffiziellen Durchgangsstation für iranische Homosexuelle geworden, die vor Verfolgung und Schikane in ihrer Heimat geflüchtet sind und versuchen, es in den Westen zu schaffen.

Homosexualität steht im Iran unter Todesstrafe. Nach Schätzung von Menschenrechtsorganisationen wurden seit der islamischen Revolution 1979 rund 4000 Schwule hingerichtet. Noch prekärer wurde die Lage, seit vor fünf Jahren Präsident Mahmud Ahmadinedschad an die Macht kam. Der erregte 2007 Aufsehen mit der Äusserung, in seinem Land gebe es keine Homosexuellen. Ein offizielles Schreiben an alle Behörden letztes Jahr mit der Aufforderung, die Beschäftigten sollten entweder heiraten oder kündigen, wurde als gezielte Massnahme betrachtet, Homosexuelle aus dem öffentlichen Dienst zu entfernen.

Von Milizionären vergewaltigt

Aliresa Naimian hat noch Glück gehabt. Nach zweieinhalb Jahren in der Türkei darf er sich jetzt dank der UNO in den USA niederlassen. In seiner Wohnung im Erdgeschoss berichtet er, was ihn letztlich in die Flucht trieb: Eines Tages im Jahr 2007, als er in seiner Heimatstadt Rudehen im Nordiran mit dem Taxi fuhr, fiel einer Gruppe von Bassidsch-Milizionären sein langes Haar auf. Sie schnappten ihn, brachten ihn nach Hause, misshandelten und vergewaltigten ihn. «Ich wollte nur noch sterben - sterben und sie los sein», sagt der 42-Jährige.

Während er erzählt, prasseln Steine gegen den Rest seines Fensters. Draussen rennen vier Halbwüchsige davon. «Dieses Haus hat einen schlechten Ruf», sagt er. Naimian ist einer von neun Schwulen, die in den heruntergekommenen Wohnungen leben. Die Bewohner wechseln häufig; Neuankömmlinge haben durch Mundpropaganda davon gehört.

Bloss nicht auffallen

Vereinzelt schaffen es Schwule und Lesben heraus aus dem Iran, die meisten in die benachbarte Türkei, die kein Visum verlangt. Derzeit sind 92 iranische Homosexuelle in der Türkei als Flüchtlinge anerkannt, wie Saghi Ghahraman berichtet, der Leiter der in Toronto ansässigen Iranischen Schwulenorganisation. Viele werden von den türkischen Behörden in Kayseri und Umgebung untergebracht. Sie bilden nur einen kleinen Teil der tausenden Iraner, die seit den umstrittenen Wahlen voriges Jahr geflüchtet sind. Sie versuchen, in der konservativen Umgebung möglichst nicht aufzufallen, bis sie irgendwo Aufnahme finden, und fürchten sich vor Übergriffen.

«Wenn wir Angriffe auf uns anzeigen, dann sagt die Polizei hier, wir sollen im Haus bleiben», erklärt Roodabeh Parvaresch. Die 32-Jährige Krankenschwester ist seit über zwei Jahren in der Türkei. Selbst Mitarbeiter einer Menschenrechtsorganisation, die sich um die Flüchtlinge kümmern solle, hätten ihr gesagt: «'Mach keinen Wirbel, du stehst schon genug unter Beobachtung der Öffentlichkeit.' Und warum? Weil ich lesbisch bin.» Hengameh, eine andere Lesbe, berichtet, sie sei kurz nach der Ankunft vor einem Jahr von zwei türkischen Jugendlichen schwer verprügelt worden.

Ausweg Geschlechtsumwandlung

Und trotzdem ist die Türkei ein Ort der Zuflucht vor dem Leben im Iran, wo Homosexuellen Gefahr von allen Seiten droht: vom Staat, von Arbeitskollegen oder Sicherheitsbeamten, die sie schikanieren oder sie zu sexuellen Gefälligkeiten zu erpressen versuchen. Offizielle Angaben über die Zahl der Homosexuellen im Iran gibt es nicht. Nach kürzlich veröffentlichten Daten, die auf der psychologischen Begutachtung von Rekruten oder auf der Zahl von Geschlechtsumwandlungen beruhen, wären Gharahman zufolge 200 000 Männer der 66 Millionen Einwohner schwul. Geschlechtsumwandlungen sind im Iran erlaubt, und viele Schwule machen davon Gebrauch, um mit ihrem Partner leben zu können oder den drakonischen Strafen zu entgehen.

Vergangenen November wurde die Hinrichtung dreier homosexueller Männer angekündigt, Vollzug wurde nicht gemeldet. In den vergangenen drei Jahren wurden nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen zwölf Minderjährige wegen Unzucht zum Tod verurteilt. Einer davon wurde bereits hingerichtet, das Schicksal von vier weiteren ist unbekannt. Im Sommer 2005 waren in Meschhed zwei Jugendliche gehängt worden. Nach iranischem Recht wird Geschlechtsverkehr unter Männern mit dem Tod bestraft. Frauen drohen bei den ersten drei Vergehen 100 Peitschenhiebe, beim vierten Mal der Tod. Geständnisse werden häufig erzwungen. Manche Richter zeigten aber Milde, berichtet Ghahraman: Sie liessen die Angeklagten auf sexuelle Kontakte hin untersuchen, «und dann lassen sie sie frei».

«Ständig Schauspieler»

Doch auch im beruflichen und privaten Umfeld werden Homosexuelle angefeindet. In ihrem ersten Jahr an der Universität suchte Hengameh Hilfe bei der Studienberatung. «Ich dachte, diese Phase geht vorüber», sagt sie. «Ich dachte, wenn es ernst ist, könnte ich etwas unternehmen.» Doch als sie dem Berater offenbarte, dass sie sich zu Frauen hingezogen fühlt, war es aus: Sie wurde der Universitätsverwaltung gemeldet und für immer vom Hochschulbesuch ausgeschlossen. Ihre Mutter versuchte sie zu einer arrangierten Ehe zu drängen in der Hoffnung, sie zu «kurieren», gab dann aber nach, als Hengameh sich umzubringen drohte. Als sie mit einer Frau erwischt wurde, verliess Hengameh das Land.

Angst und Schuldgefühle plagen viele noch im Ausland. «Alle Schwulen und Lesben, die ich kenne, haben schon mindestens zwei Mal versucht, sich das Leben zu nehmen», sagt Ghahraman aus Toronto. Naimian aus dem rosa Haus stimmt ihm zu. Auch er sehnte sich nur noch nach dem Tod, als er verhöhnt und vergewaltigt und zusammengeschlagen wurde. Man zwang ihn, ein Geständnis der Unzucht zu unterschreiben. Als er später doch Anzeige erstatten wollte, wurden er und seine Familie bedroht. Sechs Monate später flüchtete er in die Türkei. Sein Leben als schwuler Mann im Iran beschreibt er im Rückblick so: «Du musst ständig Schauspieler sein, um dort zu überleben.»

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