Laizismus purAn Ostern feiert Uruguay die «Reisewoche»
In Uruguay sind Staat und Kirche strikt getrennt. Die «Verweltlichung» geht so weit, dass es offiziell keine religiösen Feiertage gibt.
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Hochbetrieb im uruguayischen Badeort Punta del Este.
Letzte sommerliche Tage auf der südlichen Welthalbkugel: Wie jedes Jahr fahren in der Karwoche viele Argentinier mit voll bepacktem Auto an die Sandstrände im Nachbarland Uruguay. Sie überqueren die internationalen Brücken oder schiffen sich in der Hauptstadt Buenos Aires auf die Fähre ein. In Uruguay angekommen, nimmt die «Karwoche» vor Ostern ein jähes Ende – die «Reisewoche» beginnt.
Wirft man einen Blick in den offiziellen Kalender des südamerikanischen Staates, stellt man erstaunt fest: die Ostertage fehlen. Es sind überhaupt keine christlichen Feiertage angegeben. Das hat seinen Grund: Keiner Religion wird ein solches Privileg eingeräumt. So ist Weihnachten offiziell als «Tag der Familie» verzeichnet, den Dreikönigskuchen essen die Uruguayer am «Tag der Kinder», Maria Empfängnis wird im Land mit den vielen Badeorten am «Tag des Strandes» begangen, und die Karwoche heisst schlicht «Reisewoche».
Laizismus stark verankert
Die katholische Kirche hat in Uruguay über Jahrhunderte den Ton angegeben. Dennoch hat das Land nicht nur religiöse Feiertage aus der staatlichen Agenda gestrichen, sondern auch Kruzifixe und Heiligenbilder aus dem öffentlichen Raum verbannt. Religion ist nämlich Privatsache. «Der Laizismus ist in Uruguay kulturell stark verankert», sagt der deutsche Theologe und Sozialwissenschafter Veit Strassner, der sich mit der jüngeren Geschichte der Kirche in Uruguay beschäftigt hat, gegenüber 20 Minuten Online.
In vielen Ländern Südamerikas zeichne sich zwar eine Tendenz des Loslösens von der Kirche ab, ihre wichtige Stellung bleibe dennoch weitgehend erhalten. «In Uruguay hingegen hat der Verweis des Religiösen ins Private schon vor über 150 Jahren begonnen», so Strassner. Das kleine Land am Río de la Plata, oft als «Schweiz Südamerikas» bezeichnet, sei der laizistischste Staat auf dem katholischen Kontinent.
Streit um Papst-Kreuz
Die Debatten in Uruguay begannen bereits ab Mitte des 19. Jahrhunderts – angeführt von antiklerikalen Liberalen, beeinflusst von den Ideen der Aufklärung. Uruguay verstaatlichte 1861 die kirchlich geleiteten Friedhöfe, führte 1885 die standesamtliche Trauung ein und 1907 die Ehescheidung – eine Pioniertat. In der Verfassung von 1917 wurden Kirche und Staat schliesslich strikt voneinander getrennt. Die katholischen Bischöfe sahen allerdings in dem laizistisch geprägten Leben eine Gefahr für das «Seelenheil» der Gläubigen.
Papst Johannes Paul II. hielt 1987 in der uruguayischen Hauptstadt Montevideo unter freiem Himmel einen Gottesdienst ab. Extra dafür war ein rund 30 Meter hohes Kreuz errichtet worden. Als die Regierung danach – entgegen den ursprünglichen Plänen –ankündigte, das Kreuz solle als Andenken stehen bleiben, entfachte sich in Uruguay erneut eine hitzige Debatte über die Zulässigkeit von religiösen Symbolen. Mit einem knappen Mehr im Parlament blieb das Kreuz letztendlich stehen.
Religiöse Öffnung
Andere Religionsgemeinschaften forderten darauf ebenso ihre Rechte ein: Seither stehen in Montevideo ein Konfuzius-Denkmal und ein Monument des afrobrasilianischen Umbanda-Kults. Das kleine südamerikanische Land hat sich in den vergangenen Jahren gegenüber religiösen Manifestationen leicht geöffnet. «Es wird vielleicht in Zukunft ein bisschen weniger laizistisch sein», schätzt Strassner ein.
Wie sehr die Uruguayer dennoch an die strikte Trennung von Kirche und Staat festhalten und sie zum Teil weiter ausbauen, zeigte sich 2010: Als José Mujica in einem festlichen Akt sein Amt als Präsident antrat, «schwor» er nicht, sondern er «verpflichtete sich», sein Amt loyal auszuüben. Erstmals in der Geschichte Uruguays übernahm ein Staatschef mit diesen Worten den höchsten Posten des Landes.
Die Schweiz ist neutral
Die Schweiz könne man nicht als einen laizistischen, sondern als einen religionsneutralen Staat bezeichnen, sagt der Schweizer Religionswissenschafter Christoph Peter Baumann. «Unsere Bundesverfassung fängt ja mit den Worten Im Namen Gottes an.» Sollte man Uruguays Beispiel folgen und alle religiösen Feiertage in offiziellen Kalendern unerwähnt lassen? Die beiden Religionsexperten sind sich da einig: Nein. «Religionsfreiheit heisst nicht Freiheit von Religion, sondern Recht auf ihre freie Ausübung», sagt Veit Strassner. Und Baumann sieht es als eine Frage des Respekts gegenüber Gläubigen, dass ihre Feiertage aufgeführt werden. Er schlägt zudem vor, die wichtigsten Feiertage jeder Religion im Kalender anzugeben, was in der Schweiz bisher nicht gemacht wird.
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Meist prägen negative Schlagzeilen in den Medien unser Bild von den Ländern zwischen Feuerland und Amazonas. Doch die südamerikanischen Länder stehen auch für Innovation, Erfolg und Aufbruch. Camilla Landbø, Mitarbeiterin von 20 Minuten Online, und Esther-Marie Merz blicken in ihrem Buch «Südamerika Zwischen Armut und Wirtschaftsboom» hinter die Kulissen von bahnbrechenden politischen Umbrüchen, rasanten wirtschaftlichen Entwicklungen und spannenden gesellschaftlichen Dynamiken.