Dieses Baby gibts nur in Italien

Aktualisiert

Behörden-TheaterDieses Baby gibts nur in Italien

Mit der Geburt ihrer Tochter in Italien begann für die Matters der Albtraum. Bis heute hat ihr Kind kein gültiges Schweizer Dokument - weil es offiziell gar nicht existiert.

von
Antonio Fumagalli

«Was passiert, wenn uns die Polizei kontrolliert? Nehmen sie uns dann das Baby weg, weil sie glauben, dass wir es entführt haben?» Monika Matter gefriert das Blut in den Adern, wenn sie dies nur ausspricht. Doch genau solche Gedanken plagen sie seit Mitte Oktober, seit jenem verlängerten Wochenende in der Toscana. «Wenn wir gewusst hätten, welcher Behördenmarathon auf uns zukommt, wären wir nicht weggefahren», sagt sie. Eine letzte Erholung wollten sie sich gönnen vor der bevorstehenden Geburt ihres Kindes, noch ein letztes Mal Zweisamkeit. Die Hebamme gab grünes Licht, trotz des fälligen Termins sei in den kommenden Tagen nicht mit der Entbindung zu rechnen.

Es kam alles anders: Kaum in Italien angekommen, wurde Monika Matter von heftigen Wehen überrascht. Ihr Mann fuhr sie eiligst ins Krankenhaus von Prato, wo wenig später die kerngesunde Maria das Licht der Welt erblickte. Beglückt von der komplikationsfreien Geburt fuhr die mittlerweile dreiköpfige Familie Matter bereits am nächsten Morgen zurück ins heimische Rheintal. Im Gepäck eine von der zuständigen Hebamme unterschriebene Geburtsbescheinigung. «Im Nachhinein war dies unser Fehler. Aber wie hätten wir dies wissen sollen?», fragt die frischgebackene Mutter.

Von Amt zu Amt

In der darauf folgenden Woche wollte Martin Matter sein neugeborenes Kind bei den Behörden anmelden. Bei der Wohngemeinde blitzte er ab, sie sei nicht zuständig, dasselbe hörte er vom Wohnkanton. Auch das eidgenössische Zivilstandsamt und die Schweizerische Botschaft in Rom waren nicht die richtigen Anlaufstellen. Matter landete bei seinem Bürgerort Kölliken, wo er ans Aargauer Volkswirtschaftsdepartement verwiesen wurde. Mittlerweile waren mehrere Tage vergangen.

Die Matters waren zwar endlich bei der richtigen Behördenstelle vorstellig, am Ziel ihrer Bemühungen waren sie aber noch längst nicht. In einer schriftlichen Stellungnahme teilte ihnen die Sektion «Bürgerrecht und Personenstand» mit, dass sie die Geburt von Maria «nur aufgrund einer offiziellen Geburtsurkunde» in der Schweiz eintragen könne. Die von der Familie eingereichte Geburtsbescheinigung des italienischen Spitals reiche nicht aus.

Botschaft empfiehlt Anwalt

Der Haken an der Sache: Die von den Schweizer Behörden verlangte Geburtsurkunde muss gemäss italienischer Gesetzgebung von den Eltern persönlich bei der Geburtsgemeinde abgeholt werden – und dies innerhalb von zehn Tagen. Diese Frist war in der Zwischenzeit abgelaufen. Die Matters kratzten ihre Italienischkenntnisse zusammen und brachten in Erfahrung, dass ihr Dossier mittlerweile bei einem Gericht in Prato liegt. Man müsse nun warten, teilte ihnen die Gemeinde mit. Monika und Martin Matter waren mit der Geduld am Ende. Doch auch die Schweizer Botschaft in Rom konnte auf erneute Anfrage nicht weiterhelfen und riet ihnen, sich mit einem Anwalt, der sich im italienischen Zivilstandsgesetz auskennt, in Verbindung zu setzen.

Maria ist mittlerweile sechs Wochen alt, für die Schweizer Behörden existiert sie aber weiterhin nicht offiziell. Ein unhaltbarer Zustand für die Familie Matter – insbesondere, da sich ein Ende der Odyssee noch nicht abzeichnet. «Etwas mehr Fingerspitzengefühl und Kulanz hätten wir von den Aargauer Behörden schon erwartet», sagt der Vater. Sogar einen DNA-Test hätten sie angeboten als Beweis dafür, dass sie die rechtmässigen Eltern des Kindes seien. Das Amt wollte davon nichts wissen. Der zuständige Vorsteher war auf Anfrage von 20 Minuten Online nicht erreichbar.

Ohne Pass keine Reisen

Wegen des fehlenden Personenregistereintrags ihrer Tochter erhalten Herr und Frau Matter keine Kinderzulagen. Auch reisen können sie nicht gemeinsam, da für die Kleine ohne amtliche Existenz kein Pass ausgestellt werden kann. Bezahlt die Krankenversicherung den Arztbesuch? Kriegt die Tochter staatliche Unterstützung, wenn ihr etwas zustossen würde? Die Matters stellen sich derzeit existenzielle Fragen. «Am schlimmsten ist die Ungewissheit, wir hängen total in der Luft», sagt der Vater.

So nervenaufreibend das Hickhack rund um die behördliche Anmeldung einer Neugeborenen auch ist, eine Beteiligte lässt die ganze Angelegenheit kühler als der eisige Novemberwind, der ihr im Kinderwagen um die Ohren streift: Maria Elisa Teresa Matter kneift ihre kleinen Äuglein zusammen – und schläft seelenruhig weiter.

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