Ein Dorf gebaut auf Giftbergen

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Wirtschaftsboom mit schlimmen FolgenEin Dorf gebaut auf Giftbergen

Das Dorf ist zu riechen, lange bevor es zu sehen ist: Mehr als 100 Lastwagen voller Müll drängen sich auf der schmalen Strasse nach Zhanglidong, um ihre Ladung auf eine Halde zu kippen, die so gross ist wie 20 Fussballfelder. Innerhalb von weniger als fünf Jahren hat die Deponie der ostchinesischen Provinz-Hauptstadt Zhengzhou das bis dahin unberührte 1000-Seelen-Dorf zerstört.

Chi-Chi Zhang/ap
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Chi-Chi Zhang/ap

Heute verrotten Kirschen und Pfirsiche an den Bäumen, übersät mit Insekten, die vom Gestank der Deponie angezogen über die Früchte herfallen. Die umliegenden Felder sind vom Abfall vergiftetet und liegen brach. Jeden Tag bringen Lastwagen rund 100 weitere Tonnen Müll aus der Acht-Millionen-Stadt in den kleinen Ort.

«Das Leben hier wurde innerhalb kürzester Zeit vom Himmel zur Hölle», sagt Wang Xiuhua, die ihr ganzes Leben in dem Dorf verbracht hat. Mit den Händen versucht sie, die Mücken- und Fliegenschwärme in der Luft zu vertreiben. Die 78-Jährige hustet heftig aufgrund einer Bronchitis, die von den Dämpfen der Mülldeponie verursacht werde, sagt sie.

«Kein Platz, das alles unterzubringen»

Mit dem Boom der chinesischen Wirtschaft sind auch die Müllberge dramatisch gewachsen. Die Menge an Papier, Plastik und anderen Abfällen hat sich innerhalb von nur zwei Jahrzehnten auf 300 Millionen Tonnen pro Jahr mehr als verdreifacht, wie der Abfallexperte Nie Yongfeng von der Tsinghua Universität in Peking erklärt. Die Herausforderungen für China sind gigantisch: Noch vor einer Generation lebten die Menschen überwiegend in armen ländlichen Gebieten, wo vieles wiederverwendet und wenig weggeworfen wurde.

«Müll war keine komplizierte Sache, weil wir keine Supermärkte hatten, keine schicken Verpackungen und es nicht endlos viele Dinge zu kaufen gab», sagt der Abfallexperte. «Jetzt ist die Regierung in Panik, weil sich die Müllberge türmen und und es keinen Platz gibt, das alles unterzubringen.»

Zehn Euro pro Monat für ein Leben am Giftberg

In Zhanglidong versuchen die Bewohner, die Mülltransporter mit Protesten und Blockaden davon abzuhalten, ihre Ladung aus dem rund 30 Kilometer entfernten Zhengzhou in die Siedlung zu bringen. «Zhengzhou ist makellos, weil deren Abfall in unserem Dorf landet», schimpft Li Qiaohong, die den Müll für das Hautekzem ihres fünfjährigen Sohnes verantwortlich macht. Ihre Familie ist eine der wenigen, die im Umkreis von nur 100 Metern von der Deponie entfernt leben. Den betroffenen Familien zahlt die Regierung eine Entschädigung von 100 Yuan (9,80 Euro) pro Monat.

Der Abfall hat nicht nicht nur die Luft und den Boden, sondern auch die Beziehungen im Dorf vergiftet. Die Bewohner klagen, sie seien nie zum Bau der Deponie befragt worden und verdächtigen die Kader der Kommunistischen Partei, das Projekt gegen Bezahlung zugelassen zu haben. Petitionen gegen die Mülldeponie würden ignoriert und Demonstrationen von der Polizei mit Strafandrohungen unterdrückt, heisst es.

«Wir Dorfbewohner waren zu naiv, wir wussten nicht, was eine Deponie ist», sagt Li. «Wenn wir früher über all die Verschmutzung Bescheid gewusst hätten, die sie verursacht, hätten wir alles nur mögliche getan, um den Bau zu verhindern. Jetzt ist es zu spät.»

Jahrtausende lang war China eine Agrargesellschaft, doch bereits in fünf Jahren wird die Mehrheit der Bevölkerung in Städten leben. Statt frischen Lebensmitteln kaufen deshalb immer mehr Familien verpackte Produkte - allein in den Jahren 2000 bis 2008 stieg deren Konsum nach Angaben des Trade Development Councils in Hong Kong um fast elf Prozent. Bis 2013 soll der Markt für verpackte Güter gegenüber vergangenem Jahr um 74 Prozent auf 195 Milliarden Dollar wachsen.

Mindestens 85 Prozent des Abfalls landen auf Deponien

Derzeit landen mindestens 85 Prozent der jährlich sieben Milliarden Tonnen Abfall in China auf Deponien - meist ohne Genehmigung irgendwo auf dem Land. Viele Deponien sind nur mit dünnen Fiberglas- oder Plastikabdeckungen geschützt, so dass der Regen Schwermetalle, Ammoniak und Bakterien in den Boden und das Grundwasser spült. Die Luft wird beim Verrotten von Methan und Kohlendioxid belastet. Wird der Müll verbrannt, blasen sie Anlagen krebserregende Dioxine und andere Giftstoffe in die Luft, wie eine Studie im Auftrag der chinesischen Regierung bestätigt.

«Wenn die Regierung sich nicht stärker dafür einsetzt, unsere Müllprobleme zu lösen, droht China im kommenden Jahrzehnt eine Gesundheitskrise», sagt der Abfallexperte Liu Yangsheng von der Universität Peking. In Zhanglidong leiden die Menschen schon jetzt: Der einzige Brunnen im Dorf sei vergiftet und verursache chronische Geschwüre, sagen die Bewohner. Aus Sicht des Umweltministeriums in Zhengzhou ist die Lage dagegen unbedenklich: «Testergebnisse des örtlichen Bodens, Wassers und der Luftqualität im Jahr 2006 und in diesem Jahr haben gezeigt, dass alles im Rahmen der nationalen Standards liegt», erklärt ein Sprecher.

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