Organisierte der Polizeichef Vergewaltigungen?

Aktualisiert

Sexskandal in SchwedenOrganisierte der Polizeichef Vergewaltigungen?

Er galt bis vor kurzem als Schwedens Vorzeigepolizist und Wohltäter. Doch plötzlich fällt die Fassade von Göran Lindberg und der Gutmensch entpuppt sich als wahres Schändungsmonster. Seine Geschichte ist so unfassbar, dass Lindbergs Landsleute wie gelähmt darauf reagieren.

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Was sich in Schweden derzeit abspielt, könnte den Inhalt eines perfekten Krimis abgeben. Die Zutaten sind laut einem aktuellen Bericht der schwedischen Zeitung «Dagens Nyheter» auf jeden Fall vorhanden: ein perverser Polizist und ein Sex-Netzwerk mit Verstrickungen bis in die höchsten Kreise der schwedischen Gesellschaft. Einige sprechen bereits vom grössten politischen Skandal in der Geschichte Schwedens.

Der 63-jährige höchste Polizeichef Schwedens, Göran Lindberg, überraschte alle, als er im September 2009 ankündigte, er gehe - vorzeitig – in Pension. Offenbar hatte er Wind von den Ermittlungen bekommen, die gegen ihn eingeleitet worden waren. Am 28. Januar 2010 wurde er an einer Tankstelle in der Nähe der schwedischen Kleinstadt Falun verhaftet. Die Anschuldigungen lauten: Verdacht auf Vergewaltigung und Verdacht auf weitere geplante Vergewaltigungen. Bislang sind laut der in Schweden erscheinenden englischsprachigen Zeitung «The Local» mindestens fünf weibliche Opfer namentlich bekannt. Der Vorzeigepolizist sitzt derzeit in Untersuchungshaft.

Den Fall ins Rollen gebracht hat der Selbstmord eines reichen Unternehmers am 27. Juli 2009. Der Mann – ein Zuhälter – hatte eine Reihe von Hinweisen auf ein Sexnetzwerk hinterlassen. Auf seinem Computer und seinem Handy fanden die Ermittler SMS und Telefonnummern von Mitgliedern der besseren schwedischen Gesellschaft. Unter anderem stiessen sie auf Indizien, die auf Göran Lindberg als Kopf einer Organisation hinwiesen, die Massenvergewaltigungen und Sex mit Minderjährigen anbot, wie «Expressen» berichtete.

Vom Wohl- zum Mittäter

Lindberg selber – so stellt es sich nun heraus – war auch ein Mittäter. Wenige Tage vor seiner Verhaftung hatte er ein Treffen mit einer 14-Jährigen arrangiert. Zum Rendezvous – am Tag der Verhaftung – fuhr er mit seiner «Sextasche» hin, einem kleinen Koffer vollgeladen mit Dildos, Gleitmitteln und Sado-Maso-Zubehör. Im Laufe der Ermittlungen sollten sich einige seiner Opfer zu Wort melden: Der beliebte Polizeichef hatte eine Vorliebe für brutalen Gruppensex. Er wünschte, «Papa» oder «Master» genannt zu werden. Eine Zeugin sagte aus, Lindberg und andere Männer hätten auf sie uriniert und sie mit Kot beschmiert, während sie an ein Bett gefesselt war. Eine weitere Frau behauptete, sie sei vom 63-Jährigen vergewaltigt worden.

Welch tiefer Fall: Zuvor galt der verheiratete Lindberg als Feminist, der sich für eine höhere Frauenquote in der Polizei einsetzte. Ausserdem unterstützte er laut Medienberichten ein Jugendhaus, das junge Opfer von Sexualverbrechen betreut. Weiter wurde er als «politisch korrekt, bescheiden und ehrgeizig» beschrieben – ein Musterbürger, wie er im Buche steht.

Schweden im Schockzustand

Als Chefermittler Jonas Trolle am 30. Januar über den Fall informiert, wird der Skandal allerdings heruntergespielt: Man gehe von einem Einzeltäter aus, das Sexnetzwerk gebe es gar nicht. Den Medien und der schwedischen Öffentlichkeit scheint diese zurückhaltende Haltung recht zu sein – so monströs sind die Details der Ermittlung, dass man sie kaum wahrhaben will, mutmasst die «Weltwoche».

Die Medien berichten seit der Aufdeckung der Affäre sehr zurückhaltend über die Fortschritte bei den Ermittlungen. Wahrscheinlich wollen sie nicht einen Fauxpas aus der Vergangenheit wiederholen. In den 80er-Jahren war man in der Berichterstattung über einen Prostituiertenmord etwas voreilig und hatte zu unrecht zwei Mithelfer zu Tätern beschuldigt. Dennoch fallen in Anbetracht der Dimensionen des aktuellen Skandals selbst in den skandinavischen Boulevard-Blättern die Berichte erstaunlich kurz aus. Im deutsschprachigen Raum ist der ganze Skandal bislang kaum ein Thema - wohl auch eine Folge der bescheidenen Medienaufmerksamkeit in Skandinavien.

«Wie viele Opfer es gibt, möchte ich nicht kommentieren. Aber die Ermittler haben fünf mögliche Mittäter ausgemacht», sagte Staatsanwalt Hakan Roswall zu den «Dagens Nyheter». Alle vermeintlichen Mittäter sind diese Woche vorgeladen worden. Da es fünf Verdächtige gibt ist davon auszugehen, dass es mindestens so viele Opfer gibt.

Anklage nicht vor Frühling

Auch auf polizeilicher Ebene bleibt man diskret und vorsichtig – anders lässt sich kaum erklären, dass die Verhaftung Lindbergs ganze sechs Monate hinausgezögert wurde. «Die Polizei untersucht die Vorfälle weiter mit Nachdruck und es ist nicht auszuschliessen, dass sich die Angelegenheit weiter ausdehnen wird», erklärte Staatsanwalt Roswall weiter. Die Untersuchungshaft von Ex-Polizeichef Lindberg wurde am Donnerstag auf Antrag der Staatsanwaltschaft für zwei Wochen verlängert. Roswall rechnet nicht damit, früher als in zwei bis drei Monaten Anklage erheben zu können. «Wir haben einen Verdacht, aber wir ermitteln weiter in alle Richtungen.»

Den Bürgern kommt die Nüchternheit der Behörden gelegen: Auch sie möchten wohl das Monströse an dieser Geschichte lieber verdrängen. In einem Land, in dem Prostitution seit zehn Jahren verboten ist und Pädophilie streng bestraft werden, ist es schwer zu akzeptieren, dass Missbrauch und Perversion an der Tagesordnung sind – wie überall sonst.

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