Hüllenlos: Teil 2Quer durch Lappland und rauf auf den 3700er - nackt
Raus aus den Klamotten und rauf auf den Berg: Nacktwandern war in den vergangenen Wochen in aller Munde. Was ist es aber tätsächlich - luftiger Spass, kühle Spinnerei oder Wintersport? Ein 20-Minuten-Online-Reporter wollte es genau wissen und zog sich aus. Heute Teil 2.
«Es geht um Freiheit. Es ist ein ganz anderes Gehen, ein widerstandsloses und intensiveres», erklärt Puistola die Faszination. Er selbst habe vor 30 Jahren damit begonnen. Die Naturverbundenheit, die Sonnenstrahlen auf dem Körper, der kühlende Wind im Sommer, kein Schwitzen, keine lästigen Kleider, dafür ein umso intensiveres Erlebnis, «einmalig», wie er findet. Inzwischen habe er schon einen 3700 Meter hohen Berg nackt bestiegen und halb Lappland durchschritten, wie ihn Gott schuf. «Ein erhebendes Gefühl», sagt er schliesslich und dreht sich zu mir: «und gar nicht so kalt, nicht wahr?» Tatsächlich scheint die Sonne genug zu sein um nicht zu frieren. Ich bin dennoch angespannt. Weit und breit ist niemand, dennoch drehe ich mich ständig um: Horche nach Stimmen, fremden Schritten im Schnee. Nur ein Gedanke: Hoffentlich kommt uns bloss niemand entgegen.
In Deutschland soll es rund 800 000 so genannte Naturisten geben (siehe Infobox). Sie joggen, radeln, klettern und schwimmen nackt. In der Schweiz sind sie eher selten, wie Puistola erklärt. Er kenne gerade mal sechs Nacktwanderer. Im Alltag sind es Stützen der Gesellschaft: Architekten, Lehrer, Beamte – er selbst hat an der ETH studiert. Die meisten seien Männer über 40. «Junge Leute genierten sich viel mehr», erklärt er. Es brauche seine Zeit, bis man die eigenen Gewohnheiten abgelegt habe und sich befreie vom gesellschaftlichen Zwang. Und was ist mit Frauen? Frauen gebe es auch unter den Nacktwanderern, für sie sei es aber viel schwieriger in der Öffentlichkeit nackt zu sein. Manche Männer seien viel aggressiver in ihrer Sexualität. «Die verzichten nicht mal in der Sauna auf verstohlene Blicke, da fühlen sich Frauen einfach schnell bedrängt.»
Nackt im Wanderstau? Nein, danke.
Ist ein Nackter auf Tour nicht genau so bedrängend? «Nein», findet Puistola. Die Erfahrung beweise das Gegenteil. Die Leute grüssen meist freundlich, lachen und fragen, ob man nicht kalt habe. Manchmal loben sie auch die durchgehende Bräune: «Schön bruun», heisse es dann. «Vor allem Frauen reagieren positiv», sagt Puistola. Schlimm seien nur die alten Männer, die würden manchmal richtig umher kläffen. «Dann zieht man sich eben etwas über oder läuft weiter – demonstrativ.» Nacktwanderer seien nicht auf Konfrontationen aus, versucht er den Sex-Grüsel-Mythos zu entkräften. Das unterscheide sie auch von Exhibitionisten und ähnlichem. Ein Nacktwanderer ziehe sich in der Nähe von stark frequentierten Stellen an, nutze eher abgelegene Routen und nicht umgekehrt. «Ich will nicht die Freiheit, die ich durch die Nacktheit gewinne im Wanderstau gleich wieder verlieren», erklärt er.
Nach 20 Minuten dreht plötzlich der Wind. Der Föhn pfeift nun über die nackte Haut. Sie zieht sich zusammen, spannt sich regelrecht. Man spürt wie das Blut schneller zirkuliert. «Jetzt wird es aber kalt», findet Puistola, «ich glaub wir kehren besser um.» Innerhalb von Minuten hat der Sturm aus sechs Grad gefühlte minus zehn gemacht und beendet den Ausflug jäh. Unter diesen Bedingungen laufe er auch sonst nie, erklärt Puistola, schliesslich solle es angenehm sein und nicht schmerzhaft. «Nacktheit ist nicht die Bedingung zum Wandern, sondern ein Bonus», sagt er und macht sich auf den Weg zurück zum Auto. Er will wiederkommen. Vom neuen Gesetz und möglichen Bussen will er sich dabei nicht abhalten lassen: «Die Freiheit den Alpstein zu geniessen, lasse ich mir nicht nehmen. Notfalls ziehe ich bis vors Bundesgericht».
Nacktwanderwege
In Deutschland gibt es erste Vorstösse abgesteckte Routen für Naturisten anzubieten. Zahlreiche Tourismus-Verbände erhoffen sich davon mehr Leute in die Naherholungszonen zu locken. Bisher sind aber noch keine offiziellen Nacktwanderwege eröffnet worden.
Organisierte Ausflüge
In der Schweiz sind organisierte Ausflüge bisher selten. Touren werden meist paarweise absolviert oder in kleinen vier und fünfer Gruppen. Die Teilnehmer kennen sich meist untereinander. Vereinzelt gibt es aber auch Aufrufe in Internet-Foren (Link zu Forum). In Deutschland hingegen gibt es offizielle Termine, die auf Homepages ausgeschrieben werden (Link zur Seite). Nicht selten nehmen bis zu 50 Naturisten an den Events teil.