Aus zarter HandWenn Frauen morden
Eine 23-jährige Polizistin tötet in Zürich-Schwamendingen ihre Geliebte mit der Dienstwaffe, eine junge Frau aus Oberrieden erschiesst Anfang Oktober ihren Vater. «Wenn Frauen morden, tun sie dies selten aus Habgier», sagt Experte Stephan Harbort. Er ist den meisten Serienmörderinnen Deutschlands persönlich begegnet.
«Wenn Frauen morden, sitzt die Gesellschaft auf der moralischen Anklagebank», sagt Stephan Harbort. Von 1997 bis 2009 führte der Kriminalhauptkommissar Interviews mit 68 verurteilten Serienmördern in Justizvollzugsanstalten und psychiatrischen Krankenhäusern. Er hat die Gerichtsakten von 674 Tötungsdelikten und 1000 Einzeltaten analysiert. Mit 20 Minuten Online sprach Deutschlands bekanntester Serienmord-Experte über die Hintergründe, die Frauen zu Mörderinnen werden lassen.
Frauen morden anders. Zu diesem Fazit kamen sie nach der Untersuchung von über 1000 Tötungsdelikten, die von Einzeltätern verübt wurden. Worin liegt der Unterschied?
Stephan Harbort: Der Mann tötet häufiger im Affekt, aus einer Situation heraus, die ihn
emotional überfordert. Frauen töten vermehrt mit - wie es die Juristen
nennen - Heimtücke. Diese Tatsache ist in vielen Fällen der biologischen
Konstitution von Täterinnen geschuldet. Sie müssen auf Grund ihrer
körperlichen Unterlegenheit notgedrungen einen anderen Weg gehen.
Giftmorde gelten seit jeher als typisches Mordinstrument der Frauen.
Vergiften Frauen ihre Opfer öfter als Männer?
Fremdsubstanzen, also Medikamente oder Gifte, werden bei Tötungsdelikten von
Frauen tatsächlich häufiger eingesetzt, als von Männern. Aber es gibt kein bevorzugtes Tatmittel der Frau.
Sie haben festgestellt, dass viele von Frauen ausgeübte Morde erst nach
langen Ermittlungen aufgedeckt werden. Warum?
Der Mann tötet aus einer eher emotionalen Gestimmtheit heraus, in einer Situation, die weder geplant noch absehbar ist. Die häufigsten Tötungsarten - etwa erschlagen oder erdrosseln - sind ein Indiz hierfür. Eine solche Tat ist wesentlich schwieriger zu vertuschen. Frauen dagegen handeln viel geplanter und machen sich vorher Gedanken darüber, wie sie die Tat als natürliches Todesgeschehen kaschieren oder Spuren beseitigen können. Viele Taten bleiben gar für immer unentdeckt. Wenn der Täter ein Mann ist, dauert es laut Statistik zwei Jahre, bis er gefasst wird. Frauen werden erst nach durchschnittlich sechs Jahren gefasst.
Gibt es ein wiederkehrendes Mordmotiv bei Täterinnen?
Wenn eine Frau einen anderen Menschen tötet, handelt es sich oft um eine
Verzweiflungstat, resultierend aus einer Sackgassensituation, in der sie
sich befindet. In der Mehrzahl der Fälle widersetzen sie sich durch den
Mord der Fremdbestimmung ihrer Person. Selbstredend passieren die meisten
von Frauen verübten Tötungsdelikte im häuslichen Milieu.
Motive sind also Gewalt in der Ehe, Eifersucht oder ein Liebhaber. Ist ein
eventuelles Erbe des Gatten kein Mordmotiv?
Doch, schon. Nur töten Frauen seltener, um sich einen finanziellen oder sonstigen Vorteil zu verschaffen. Es geht ihnen in erster Linie um Selbstschutz, Selbstbehauptung und Selbstverwirklichung.
Töten Männer aus anderen Gründen?In etwa 80 Prozent aller Morde geht es um die Tötung des Intimpartners, dies gilt gleichbleibend für männliche wie weibliche Täter. Nimmt man die Motive aber etwas genauer unter die Lupe, erkennt man doch ein geschlechtertypisches Muster: Männer töten vornehmlich, weil sie weiter beherrschen wollen, Frauen töten, weil sie nicht länger beherrscht werden
wollen.
Frauen töten jedoch nicht nur ihren Intimpartner, sie begehen auch
Kindsmorde.
Stimmt. Der so genannte Neonatizid - also die Tötung eines neugeborenen
Kindes - wird nahezu ausnahmslos von Frauen verübt. Der biologische Erzeuger, von Vater im engeren Sinne möchte ich nicht sprechen, kann sich aus der Verantwortung stehlen oder Unwissenheit vorschützen. Die Frau bleibt sich selbst überlassen und sieht irgendwann nur noch einen Ausweg: Das Kind darf nicht leben.
Mörderinnen gehen planvoller vor als Mörder. Gilt das auch für den Neonatizid? Da gibt es drei typische Begehungsformen: Manche Täterinnen haben die Tötung bereits lange vor der Geburt geplant und handeln kaltblütig und planvoll. Dann gibt es jene Gruppe, welche die Schwangerschaft bis zuletzt verdrängt und selbst von der Geburt überrascht wird. Das geht so weit, dass sie tatsächlich glauben, nicht schwanger zu sein. Das ist eine psychische Ausnahmesituation und ein stark affektiv eingefärbtes Geschehen. Die meisten Täterinnen wissen allerdings, dass sie schwanger sind, bleiben jedoch untätig. Sie hoffen vielmehr, dass der biologische Erzeuger sich zu seiner Verantwortung bekennt und hilft oder eine Lösung findet. Nur warten diese Frauen vergeblich und haben auch nicht den Mut, sich mit dem Ehemann, Freund oder Geliebten auseinanderzusetzen. Schliesslich sehen die Frauen keinen
anderen Ausweg, als das Kind zu töten, für das sie durchaus positive Gefühle
haben.
Sie sagen, wenn Frauen töten, habe das in der Regel immer etwas mit Männern zu tun. Weshalb?
Wenn das Mordopfer der Frau ein Mann ist, gibt es häufig einen anderen Mann
als Mittäter, Helfer oder Anstifter. Oder aber die Männer wirken im Hintergrund tatbegünstigend, beispielsweise, wenn Väter ihre Töchter vernachlässigen oder missbrauchen. Die späteren Täterinnen lernen und verinnerlichen diese negativen Handlungsmuster und akzeptieren Gewalt irgendwann als Lösungsstrategie.
Untersuchungen haben gezeigt, dass Frauen für Tötungsdelikte härter bestraft werden als Männer. Wie erklären Sie sich das?
So pauschal stimmt das nicht. Wenn Männer einen Menschen töten, handelt es
sich, wie bereits erwähnt, häufig um eine Affekthandlung. Dies wirkt sich
berechtigterweise strafmildernd aus. Bei Frauen weisen die Tötungsdelikte
vermehrt typische Mordmerkmale wie Heimtücke auf. Nach den Buchstaben des Gesetzes muss die Frau demzufolge härter bestraft werden, weil ein qualifiziertes Tötungsdelikt mit höherer Strafandrohung vorliegt. Nur gibt es keinen Erfahrungsgrundsatz: Frauen werden per se schwerer bestraft als Männer.
Wie könnte man dem Unterschied zwichen den Geschlechtern bei der Urteilssprechung gerecht werden?
Das ist sehr schwierig. Im Tathintergrund von Mörderinnen spielen Affekte genauso eine Rolle wie bei männlichen Tätern. Nur liegt das affektive Moment meist weiter vor der Tat als bei Männern. Und weil nur das Verhalten des Täters unmittelbar vor, während und nach der Tat juristisch relevant ist, bleiben diese Affekte unberücksichtigt. Darin könnte man eine gewisse Form von Ungerechtigkeit erblicken.
Haben Sie aus Ihren Untersuchungen Erkenntnisse für die Prävention gewonnen?
Schwierig. Die Polizei erfährt ja selten rechtzeitig von Mordplänen. Die
beste Prävention ist immer noch ein funktionierendes Netz der sozialen
Selbstkontrolle. Gerade wenn Frauen töten, sitzen auch Teile unserer
Gesellschaft mit auf der moralischen Anklagebank. Ich gebe nur ein Beispiel:
Bei den so genannten Todesengeln sind die Taten meistens auf eine berufliche
Überforderungssituation zurückzuführen, die vielfach auch erkannt wird, aber die Täterinnen bleiben sich selbst überlassen. Und der Tenor in vielen Gerichtsurteilen lautet dann: Hätte man ihr rechtzeitig geholfen, wäre das alles nicht passiert. Diese Erkenntnis macht mich wütend.
Experte für menschliche Abgründe
Kriminalhauptkommissar Stephan Harbort entwickelte international angewandte Fahndungsmethoden zur Überführung von Serienmördern. Er ist zudem Fachberater bei TV-Dokumentationen und Krimi-Serien. Stephan Harbort wurde durch seine TV-Auftritte bei Fernsehgrößen wie Frank Elstner, Günther Jauch und Johannes B. Kerner einem breiten Publikum bekannt. Seine zahlreichen Bücher(aktuell: «Wenn Frauen morden») sind kriminalistische Bestseller und wurden in mehrere Sprachen übersetzt.