Erste «Umkleide» für Nacktwanderer

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GesichtetErste «Umkleide» für Nacktwanderer

Da staunt der Wanderer: Mitten im Toggenburg steht neuerdings eine Kabine für Nacktwanderer. Die freuen sich, auch wenn sie sich dort wohl eher nicht umziehen werden.

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Eine witzige Idee: Ein Hüttchen auf der Alp Flis wurde zur «Umkleidekabine für Nacktwanderer» erklärt.

Eine witzige Idee: Ein Hüttchen auf der Alp Flis wurde zur «Umkleidekabine für Nacktwanderer» erklärt.

Für einmal ist es kein blanker Hintern, der die Wanderer aufschreckt: Leser-Reporterin Martina Müggler hat bei ihrem Ausflug im Toggenburg keinen Nacktwanderer erspäht, sondern die wohl erste Umkleidekabine für die hüllenlosen Wanderer. «Ich war gerade von Unterwasser Richtung Säntis unterwegs, als ich auf der Alp Flis auf diese Hütte gestossen bin», schreibt sie 20 Minuten Online. Ein Traumsujet für einen Schnappschuss: Vorne die liebevoll gestaltete Umkleidekabine, im Hintergrund der Weitblick von der Alp. Wem die Hütte gehört, ist unklar. Sicher ist: Den Wanderern dürfte die Idee ein Lächeln abgewinnen.

Begeistert ist auch der inoffizielle Sprecher der Nacktwanderer: «Das ist ein witziger Beitrag, wir fühlen uns geehrt», sagt Puistola (richtiger Name bekannt). Er sei gerade erst kürzlich in der Gegend gewesen, habe das Hüttchen aber leider nicht gesehen. Obwohl er die Idee unterstützt, glaubt er kaum, dass die «Umkleidekabine» tatsächlich zum Einsatz kommen könnte. Einerseits sei ja nicht klar, ob das wirklich ernst gemeint ist, andererseits sei sie viel zu weit weg, um sich erst dort umzuziehen. «Bis zu dieser Stelle wandert man vom nächsten Ort über eine Stunde», sagt Puistola, «ich glaube kaum, dass jemand so lange wartet, bis er sich der lästigen Kleider entledigt».

«Euch gibt es ja tatsächlich»

Die Idee mit der Umkleidekabine überrascht Puistola nicht. Wie er sagt, habe die Mehrheit der Wanderer die nackten Kollegen längst akzeptiert und die Reaktionen aus der Bevölkerung seien «sehr positiv». «Die Leute wissen inzwischen, wie sie einen Nackten in den Bergen einordnen müssen», so Puistola. Sie würden nicht gleich an einen «Grüsel» denken, sondern wüssten, dass das ein Nacktwanderer sei. «Die meisten sind sowieso überrascht», sagt der Nacktwanderer. Viele hätten bisher geglaubt, dass hüllenlose Wanderer nur in den Medien existierten. «Sie reagieren bei Treffen deshalb meist ungläubig und sagen: 'Euch gibts ja tatsächlich!'»

Während die Bevölkerung offenbar den Nacktwanderern eher wohlgesonnen ist, gehen die Behörden in Appenzell Innerrhoden und Ausserrhoden immer noch juristisch gegen die «Blüttler» vor. Erst Ende Juli teilte der Ausserrhoder Staatsanwalt Christian Bötschi mit, dass er das Verfahren gegen den Nacktwanderer Stefan (Name geändert) vors Obergericht weiterzieht. «Ausserrhoden darf kein Mekka für Leute werden, die ‚bare Födle' herumlaufen'», begründete er den Weiterzug. Der Nacktwanderer Stefan war erwischt worden und musste eine Busse von 200 Franken bezahlen, weigerte sich aber und gewann das ordentliche Verfahren vor der Einzelrichterin. Vertreten wurde er dabei von Puistola. «Für den Prozess am Obergericht werde ich Stefan aber nicht mehr vertreten», so Puistola zu 20 Minuten Online. Stefan werde sich einen Anwalt nehmen, dem Puistola aber gerne zur Seite stehen wird.

Ausserrhoden berappt die Verfahrenskosten

Die beiden passionierten Nacktwanderer sind überzeugt, dass sie auch den Prozess vor dem Obergericht für sich entscheiden werden. Die Einzelrichterin war bei ihrem Entscheid klar der Verteidigungslinie von Puistola gefolgt und stellte sich ebenso auf den Standpunkt, dass das Strafgesetzbuch kein Moralkodex sei. «Sollten wir überraschenderweise vor dem Obergericht verlieren, ziehen wir das Verfahren bis zum Bundesgericht weiter», so Puistola. Die finanziellen Kosten scheuen die hüllenlosen Wanderer offenbar nicht: «Es gibt zahlreiche Nacktwanderer, die uns einen Solidaritätsbeitrag zugesagt haben, falls wir diesen für den Prozess benötigen», sagt Puistola. Die bisherigen Kosten im Prozess gegen Stefan musste der Kanton Appenzell Ausserrhoden tragen.

Und auch künftig wird der Kanton in die Tasche greifen müssen: Weil Stefan von Gesetzes wegen als «mittellos» gilt, müssen die Kosten für seinen Anwalt vom Kanton übernommen werden. Noch ist der Prozess aber weit weg, wie Puistola sagt. «Wir rechnen frühestens im Frühling mit dem Beginn.» Bis dahin wandern sowohl Puistola als auch Stefan fleissig weiter – nackt, versteht sich.

Wie eine Nacktwanderung mit Puistola aussieht, zeigt das Video von 20 Minuten Online:

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