Erdbeben bei Zug«Ein Nachbeben ist immer noch möglich»
Die Schweiz ist am Samstag kräftig durchgeschüttelt worden. 20 Minuten Online sprach mit einem Seismologen über Nachbeben und den rätselhaften Knall kurz vor dem Beben.
Herr Haslinger, es gab seit dem Erdbeben am Samstag keine Meldung über ein Nachbeben. War es zu schwach, um es zu bemerken?
Florian Haslinger*: Nein, ein Nachbeben blieb bisher schlicht aus. Das ist ungewöhnlich, kann aber vorkommen. Es ist allerdings auch nicht ausgeschlossen, dass es doch nochmals bebt.
Warum bebte die Erde bisher nicht nach?
Das Beben am Samstag fand in etwa 32 Kilometer Tiefe statt. Bei diesen tieferen Beben haben wir in der Schweiz schon früher beobachtet, dass sie als einzelne Ereignisse auftreten. Wenn das Beben näher an der Erdoberfläche gewesen wäre, hätten wir wohl ziemlich sicher Nachbeben gehabt.
Vor knapp zwei Wochen bebte die Erde bei Parma mit einer Stärke von 5,3, nun bei Zug. Ein Zufall?
Die Ereignisse scheinen für Sie auf den ersten Blick räumlich nahe zu sein. In der Erdbebenforschung ist die Distanz zwischen Zug und Norditalien allerdings zu gross, um einen Zusammenhang herzustellen. Die beiden Beben sind zwar beide Ausdruck der Spannung, die aus der Alpenbildung hervorgegangen ist. Es gibt aber keinen direkten Zusammenhang.
Zahlreiche Leser haben von einem «explosionsartigen Knall» vor dem Beben am Samstag berichtet.
Dieses Phänomen ist bekannt. Es hat mit hochfrequenter Energie zu tun, die an die Druckwelle des Bebens gekoppelt ist. Tritt die Druckwelle aus der Erde in die Luft aus, löst sie einen schockartigen Impuls aus – eine Schallwelle. Diese Schallwelle nehmen wir als Knall war.
Wie laut müssen wir uns diese Entladung vorstellen?
Das weiss ich nicht. Wir haben die Lautstärke eines solchen Knalls noch nicht gemessen.
Der Schweizerische Erdbebendienst sammelt detailliertes Feedback der Bevölkerung nach Erdbeben. Wie viele Fragebogen wurden seit Samstag ausgefüllt?
Wir haben bisher rund 2500 Feedbacks erhalten. Es kommen aber immer noch regelmässig ein paar dazu, solange die Medien darüber berichten. Wir rechnen letztlich mit etwa 3000.
Die Leute müssen in den Fragebogen angeben, was sie gehört haben, ob sie erschrocken sind oder auch ob das Mobiliar gewackelt hat. Wofür benötigen Sie diese Angaben?
Die Feedbacks werden ausgewertet und statistisch erfasst. Wir benötigen die Statistiken für die Bestimmung der makroseismischen Intensität. Diese verbindet die Stärke des Bebens, welche wir in Magnituden messen, mit den Auswirkungen des Bebens auf Strassen, Gebäude und Landschaften. Es geht also darum die Konsequenzen des Bebens festzuhalten, damit wir Rückschlüsse ziehen können, welche Folgen bei welcher Erdbebenstärke zu befürchten sind.
Das Beben am Samstag hatte die Stärke 4,2. Welche Auswirkungen gab es gemäss den Frageboben?
Die Auswirkungen waren in etwa so wie wir gedacht haben. Es gab keine grossen Schäden, aber anscheinend mehr Risse in den Häusern als erwartet. Die Leute sind gemäss den ersten Auswertungen zudem oft erschrocken, das Beben war also stark zu spüren. Weiter haben auch oft Einrichtungsgegenstände gewackelt und geklirrt. Auf der Europäischen Makroseismischen Skala (EMS) war das Beben vom Samstag eine Vier – deutlich. Vielleicht auch eine Fünf – stark.
Was ist die maximale Stärke auf der EMS-Skala?
Die Skala reicht von eins - nicht bemerkt - bis zwölf – komplette Zerstörung. Eine Zwölf gab es bisher aber noch nie. Den höchsten Wert in der Schweiz erreichte das Erdbeben von 1356 in Basel. Nach Auswertung der historischen Überlieferung erreichte das Beben eine maximale Stärke von neun auf der EMS-Skala.
*Florian Haslinger ist Seismologe und Stellvertretender Direktor des Schweizerischen Erdbebendienstes der ETH.