Jugendstrafrecht«Mehr als die Hälfte kommt vorzeitig frei»
Mit zwölf begeht er seinen ersten Raub, vor seinem 13. Geburtstag wurde er bereits fünfmal verhaftet, nun macht er als Teil einer Kinderbande Schlagzeilen: der vierzehnjährige Alejandro B. Doch wie soll das Jugendstrafrecht mit Tätern wie ihm fertig werden?
Im Juli hob die Kapo Zürich in Winterthur eine zehnköpfige Kinderbande aus (20 Minuten Online berichtete). Die «Gang» schlug in der Nähe des Bahnhofs und in der Innenstadt zu: Sie raubten mehrere Passanten aus, einige Gangmitglieder wandten Gewalt an, auch Messer waren im Spiel. Das Geld, das sie ihren meist jugendlichen Opfern raubten, sollen sie für Alkohol und Drogen ausgegeben haben.
Mitglied der Bande: Alejandro B., 14 Jahre alt. Trotz seines jugendliche Alters hat er bereits einiges auf dem Kerbholz. Wie der «SonntagsBlick» schreibt, wurde der Jungspund schon 13-mal verurteilt: Wegen bandenmässigem Raub, Nötigung, Diebstahl, Hausfriedensbruch und falscher Anschuldigung. Ganze sechs Mal wurde er verhaftet.
Mutter holt ihn zurück
Im November 2007 wird Alejandro von der Jugendanwaltschaft in ein geschlossenes Jugendheim eingewiesen. Bis Ende März ist er in der Durchgangsstation Winterthur, danach wird er entlassen. Nun soll er in ein Schulheim, nach dem Willen der Behörden, die in ihm einen Intensivtäter sehen. Doch auf Betreiben seiner Mutter darf Alejandro wieder nach Hause. Alejandro wird rückfällig.
Was tun? Für Strafrechtsprofessor Martin Killias muss das Jugendstrafrecht überarbeitet werden. Gegenüber dem «Sonntagsblick» gibt er zu Protokoll: «Das Jugendstrafrecht wurde in einer Zeit konzipiert, als Jugendliche sehr selten schwerste Taten verübt haben. Meiner Meinung nach muss man die Altersgrenzen und die Sanktionen überdenken.» Denn das Jugendstrafrecht erlaubt für Jugendliche unter 15 Jahren keinen Freiheitsentzug.
Die Hälfte aller Schutzmassnahmen wird abgebrochen
Ab dem 15 sind Freiheitsstrafen möglich, werden aber oft mit Schutzmassnahmen kombiniert – zum Beispiel die Unterbringung in einer geschlossenen Abteilung. Der Deal: Die Zeit, die ein Straftäter in einer Massnahme verbringt, wird an die Freiheitsstrafe angerechnet. Die Massnahme dauert aber oft länger als die eigentliche Freiheitsstrafe.
Nicht so bei mehr als der Hälfte der Jugendtätern. Sobald die Dauer der der Freiheitsstrafe abgelaufen ist, beginnen sie, die Massnahme zu sabotieren. Sie verhalten sich so renitent, dass die Massnahme abgebrochen werden muss - und kommen auf freien Fuss.
Renato Rossi, Direktor des Massnahmenzentrums Arxhof BL, nennt gegenüber der Zeitung «Sonntag» ein Beispiel: «Wenn ein Jugendlicher eine Strafe von zwei Jahren bekommt und zwei Monate in Untersuchungshaft sass, benimmt er sich nach 22 Monaten so daneben, dass man die Massnahme abbrechen muss. Rossi bestätigt denn auch, dass weniger als die Hälfte der minderjährigen und jungen Täter im Massnahmenvollzug diesen auch abschliessen.
«Tauschgeschäft muss unattraktiver werden»
Dasselbe Bild im Massnahmenzentrum Uitikon ZH, das Jugendliche und junge Erwachsene aufnimmt: 2008 haben 16 Jugendliche den Massnahmenvollzug abgeschlossen, bei 17 Straftätern musste die Massnahme vorzeitig beendet werden.
Renato Rossi sieht Handlungsbedarf bei den Gerichten: «Die Richter rechnen die Zeit im Massnahmenvollzug zu hundert Prozent an. Das ist für die Jugendlichen ein attraktives Tauschgeschäft.» Doch das Gesetz liesse auch einen anderen «Umrechnungskurs» zu. Rossi fordert daher dringend dazu auf, diesen Kurs unattraktiv zu gestalten. Als weitere Massnahme sieht Rossi nur noch eines: «höhere Freiheitsstrafen».