Als die Frauen den Herd verliessen
Vor 50 Jahren mischten sich im Wallis erstmals 195 Frauen offiziell in die Schweizer Politik ein: Sie gingen abstimmen - auch wenns die Männer nicht gerne sahen.
Am 3. März 1957 hat die Oberwalliser Gemeinde Unterbäch Schweizer Geschichte geschrieben. Erstmals hatten Frauen bei einem eidgenössischen Urnengang mitgestimmt. Katharina Zenhäusern, die Frau des damaligen Gemeindepräsidenten, erinnert sich
«Ich war zuerst nicht begeistert, als mein Mann mit der Idee kam, die Frauen über die Zivilschutz-Dienstpflicht für Frauen abstimmen zu lassen», erzählt die 87-Jährige.
Ihr 2002 verstorbener Gatte Paul hatte die Idee zusammen mit Peter von Rothen ausgeheckt, dem Ehemann der feministischen Schriftstellerin Iris von Rothen. Beide waren vorher im Kantonsparlament mit entsprechenden Motionen aufgelaufen.
«Der Anstand und der gute Ton verlangen es (...), dass wir Männer uns nicht als allmächtige Vormünder benehmen», begründete der Unterbächer Gemeinderat den Beschluss im Protokoll.
Veto aus Bern und Sitten
Bern und Sitten erklärten das Vorgehen für illegal. Doch auch in Unterbäch selber war der Gegensatz zwischen Befürwortern und Gegnern scharf. Das Frauenstimmrecht war in der Agrargemeinde, wo der Tourismus mit einer Luftseilbahn und einem Skilift erst wenige zarte Blüten getrieben hatte, genauso umstritten wie im Rest der Schweiz.
Unterstüzt wurde das Vorgehen im Dorf mehrheitlich von den «Gelben» (Anhänger der Christlich-Soziale Partei - CSP), bekämpft von den «Schwarzen» (CVP-Anhänger). Gegner und Gegnerinnen beschimpften vor dem Abstimmungslokal die stimmenden Frauen.
«Es hat Mut gebraucht», sagt Zenhäusern zum Moment, als sie als erste Schweizer Frau einen Stimmzettel in eine Urne legte. 32 weitere der 84 «potenziell» stimmberechtigten Unterbächerinnen folgten ihr und beteiligten sich an der Abstimmung.
Grosser Medienrummel
Wie knapp 52 Prozent der Schweizer hatte Katharina Zenhäusern die Zivilschutzpflicht für Frauen abgelehnt. Das Engagement für ihre Familie habe Vorrang gehabt, begründet die vierfache Mutter ihr Nein. Für Zivilschutzübungen habe es keine Zeit gegeben.
Die Frau mit den wachen braunen Augen hat die Geschichte in den letzten 50 Jahren oft erzählt. Das Bild ihrer Stimmabgabe war 1957 um die Welt gegangen. Sogar die «New York Times» habe sich für Unterbäch interessiert, erzählt sie. Denn die Schweiz war neben Liechtenstein eines der letzten Länder Europas, das den Frauen das Stimm- und Wahlrecht verwehrte.
Der Unterbächer Gemeinderat habe mit seinem Vorgehen gezeigt, dass Politik auch noch mit Haltung zu tun haben könne, schrieb damals unter dem Titel «Das Fanal von Unterbäch» die Fauenzeitschrift «Elle».
Der lange Weg der Frauen
Dennoch vergingen danach noch 13 respektive 14 Jahre, bis das Wallis und die Schweiz das Frauenstimmrecht einführten. Obwohl die Abstimmung in Unterbäch in erster Linie symbolisch war - die Stimmen der Frauen waren aus juristischen Gründen in einer separaten Urne gesammelt worden - glaubt Katharina Zenhäusern an die Wirkung der Geste: «Jemand musste den Anfang machen.»
Politik habe sie selber keine machen wollen. Nicht aus Desinteresse, wie die Biografie der zweiten Schweizer Bundesrätin «Dreifuss ist unser Name» verrät, die auf dem Apéro-Tischchen ihrer Wohnstube liegt. «Für die Politik braucht man Elefantenhaut», erklärt sie.
So wie sie dachten viele Unterbächerinnen, denn erst in der zweiten Hälfte der 80er-Jahre zog die erste Frau in den Gemeinderat ein. Heute sind es zwei. Nach Ansicht des amtierenden Gemeindepräsidenten Daniel Vogel ist die Zeit gar reif für die erste Präsidentin: «Mein Nachfolger wird eine Frau sein», prophezeit er. (sda)