Gegen ihren Willen14-Jährige soll verheiratet werden
Die Lehrer konnten nichts tun: Eine Solothurner Oberstufenschülerin soll dieser Tage in Indien zwangsverheiratet werden. Den Eltern droht ein Sorgerechtsentzug.
Während andere Kinder den Osterferien entgegenfieberten, dürfte für die 14-jährige Naima* jeder Tag des Wartens eine Tortur gewesen sein. Ihre Eltern hatten ihr angekündigt, sie in den Osterferien in Indien – dem Heimatland ihres Vaters – zu verheiraten. Am 3. April ist das Mädchen laut «Sonntag» mit seinen Eltern abgereist.
«Ich kann kaum glauben, dass Naima zwangsverheiratet werden soll», sagt ihre ehemalige Religionslehrerin. Das Mädchen, das in die erste Klasse der Bezirksschule geht und in der Kirche ministriert, habe stets interessiert am Unterricht teilgenommen. Es sei ein liebes, zurückhaltendes Kind. Gross müssen seine Ängste gewesen sein, dass es sich dennoch Anfang Jahr einer Lehrerin anvertraute. Diese alarmierte am 2. April den Schuldirektor der Kreisschule Gäu, Hanspeter Aebischer, der sofort die zuständigen Ämter benachrichtigte. Doch diese kamen zu spät. «Es ist frustrierend, dass ich dem Mädchen nicht weiter helfen konnte», sagt Aebischer.
Sobald die Familie in die Schweiz zurückgekehrt ist, muss sie bei der Vormundschaftsbehörde zur Befragung antraben, erklärt Marcel Châtelain, Leiter des Amts für soziale Sicherheit des Kantons Solothurn, und sagt: «Sollten die Eltern das Mädchen tatsächlich zwangsverheiratet haben, droht ihnen der Entzug der elterlichen Obhut.»
*Name geändert
Tausend Opfer pro Jahr
Anu Sivaganesan von Zwangsheirat.ch nimmt Stellung.
Was halten Sie vom Fall Naima?
Wir sind nicht überrascht. Heute gehen wir von weit über tausend unfreiwilligen Eheschliessungen im Jahr aus. Eine Mehrheit der Opfer ist zwischen 13 und 18 Jahre alt – genau wie Naima.
Warum hält sich diese Praxis so hartnäckig?
In Indien dürften ein konservativer Lebensstil und festgefahrene religiöse Überzeugungen eine Rolle spielen. Aber auch bei Immigranten aus anderen Ländern wird die Tradition teils heftig verteidigt: Unser Engagement gegen die Zwangsheirat führt immer wieder zu Drohungen aus dem Umfeld.
Warum bekommt die Schweiz das Problem nicht in den Griff?
Der Bundesrat verhält sich viel zu passiv. Er muss handeln – je schneller, desto besser. Aber das Parlament macht mit einem Gesetzesvorschlag Hoffnung. (mu)
«Bund soll endlich handeln»
Während in Deutschland, Österreich und Norwegen Zwangsheirat seit 2005 ein eigener Straftatbestand ist, wird das Vergehen in der Schweiz bloss als Nötigung geahndet. «Der Bundesrat darf das Thema nicht auf die leichte Schulter nehmen», kritisiert Luca Cirigliano, Jurist und Mitglied der Eidgenössischen Kommission für Kinder- und Jugendfragen EKKJ. «Es ist höchste Zeit, dass der Bundesrat endlich handelt, denn Zwangsheirat ist für Kinder eines der schlimmsten Traumata». Insgesamt rechnet man in der Schweiz mit 17 000 Fällen. Cirigliano fordert: Zwangsheirat soll im Strafgesetzbuch verankert und eine Sensibilisierungskampagne gestartet werden. Erst im Februar verzichtete der Bundesrat auf die Schaffung eines neuen Straftatbestands. Grund: Eine verschärfte Strafandrohung würde das Opfer hemmen, Strafanzeige zu erstatten. Für Cirigliano ist dies «nicht nachvollziehbar». (dp/mu)