Interview mit SP-Präsident«Atom-Frage wird uns Stimmen bringen»
Die SP hat ihren Wahlkampf eröffnet und sieht sich führend im Atomausstieg, wie Parteipräsident Christian Levrat sagt.

«Wir setzen uns aus Überzeugung für den Atomausstieg ein und haben nicht auf Fukushima gewartet»: SP-Präsident Christian Levrat eröffnet am Donnerstag in Bern den Wahlkampf.
Im Unterschied zu den bürgerlichen Parteien wirbt die SP nicht mit der Schweiz. Bewusst?
Ja. Ich war überrascht über den Auftritt der bürgerlichen Parteien. Die Slogans wirken billig. Sie erinnern mich an «Katzen würden Whiskas kaufen». Eine inhaltliche Diskussion findet nicht statt.
Der SP-Wahlkampfslogan «Für alle statt für wenige» klingt ebenfalls sehr abstrakt.
Das finde ich nicht. Die Bevölkerung weiss, dass es eine Partei braucht, der sich um ihre Interessen kümmert. In Bern gibt es genug Personen, die sich um AKW, Banken und die Krankenkassen kümmern.
Aber kann der Slogan die Wähler begeistern?
Der Slogan zeigt sehr gut unsere Arbeit in den letzten Jahren. Denken Sie an die UBS-Diskussion, bei der das Parlament im Interesse von einzelnen gestimmt hat, oder die Gesundheitspolitik, bei der unzählige Lobbyisten in Bern mitmischen. Dabei ging es den anderen Parteien um die Verteidigung von Sonderinteressen. Das ist sehr emotional. Wir bringen deshalb den Slogan zusammen mit konkreten Projekten der SP auf die Plakate.
Welche Themen sind das?
Wir wollen uns profilieren, indem wir uns einsetzen für die Einführung eines Mindestlohns, für zahlbare Wohnungen, eine wirksame Krankenversicherung sowie für erneuerbare Energien.
Gerade bei den erneuerbaren Energien haben die Grünen mit ihrer angekündigten Volksinitiative für den Atomausstieg das Thema schneller besetzt als die SP.
Was heisst schneller? Wir haben bereits 92 000 Unterschriften für die Cleantech-Initiative gesammelt, die indirekt den Atomausstieg bis 2030 verlangt. Wir setzen uns aus Überzeugung dafür ein und haben nicht auf Fukushima gewartet.
Gewinnt die SP wegen des Atom-Unfalls in Fukushima zusätzliche Wähler?
Mittelfristig ja. Weil die SP einen Weg aus der Atomenergie aufzeigt, ohne dass es zu einer Versorgungslücke kommt.
Heisst mittelfristig bis zu den Wahlen?
Ja, die Atom-Frage nach Fukushima wird uns im Herbst Stimmen bringen.
Bei der Finanzkrise entsteht jedoch der Eindruck, dass die SP nicht davon profitieren konnte.
Die Finanzkrise zeigt gut, was wir mit unserem Slogan meinen. Die Interessen der Schweiz entsprechen nicht immer den Interessen der Grossbanken. Die Vorlage zu «Too big to fail» ist grossenteils unser Verdienst, obwohl noch unklar ist, ob sie durchkommt.
Aber nimmt die Bevölkerung die aktive Rolle der SP auch wahr?
Ich hoffe es. In den Kantonalwahlen von Zug und Jura haben wir gewonnen und in den Kommunalwahlen von Genf, Waadt und Fribourg gute Resultate erzielt. Den Wahlkampf haben wir bereits mit den genannten Themen geführt. Deshalb bin ich optimistisch.
Sie glauben also, dass die SP ihr Image als Verbotspartei verliert?
Verbote sollten nur zurückhaltend erlassen werden und nie zum Selbstzweck. Ich glaube, dass die SP als Partei der Selbstverwirklichung den Leuten Perspektiven geben sollte. Deshalb haben wir auch die persönliche Freiheit im Parteiprogramm so hoch gewertet.
Diese Sätze erinnern an FDP-Slogans.
Die Freisinnigen meinen die Freiheit der Privilegierten, wir die Freiheit aller.
Die Anliegen der Bevölkerung nahm in der Vergangenheit aber mehrheitlich die SVP auf.
Die SVP ist für Rentensenkungen oder für die UBS eingetreten. Die Partei verkörpert ziemlich genau, was ich mit Sonderinteressen meine.
Aber an der Urne errang die SVP Erfolge unter anderem bei der Anti-Minarett-Initiative und der Ausschaffungsinitiative. Die SP hingegen verlor ihre Steuerinitiative.
Die SVP hat erreicht, dass in der Schweiz keine Minarette gebaut werden dürfen. Wir haben Rentensenkungen verhindert. Ich finde letzteres wichtiger.
Wird die SVP in den Wahlen weiter zulegen?
Nein. Ich denke, wir werden zulegen.
Wie viel?
Wir wollen in jedem Kanton zulegen. Deshalb müssen sich alle Kantonalsektionen engagieren. Im Herbst findet eine Richtungswahl für die Schweiz statt. Wir müssen die moderne Schweiz gegen die ultrakonservative verteidigen. Deshalb erwarte ich von der ganzen Partei ein massives Engagement, auch von den Exekutivmitgliedern.
Die Bundesräte sollen ebenfalls aktiv sein?
Ja.
Obwohl der Bundesrat beschlossen hat, sich im Wahlkampf zurückzuhalten?
Wir schauen, in welcher Form wir unsere zwei Bundesrätinnen einbinden können. Ich bin zuversichtlich, dass sie mit vollem Einsatz dabei sein werden. Es geht schliesslich auch um den zweiten Sitz der SP im Bundesrat.
Sie fürchten einen Angriff?
Wir müssen damit rechnen. Die SVP hat bereits verlauten lassen, dass sie eine Regierung ohne SP will. Auch bei den Grünen gibt es einzelne Personen, die gegen uns antreten würden, auch wenn das die Partei offiziell ausschliesst.
Ein Wahlsieg der Grünen wäre für Sie gefährlich.
Das Resultat der Grünen ist für uns irrelevant. Wenn sie zulegen, können sie sich mit der FDP um einen Bundesratssitz streiten. Für uns ist wichtig, dass wir gewinnen.
Aber Sie müssten sich mit den Grünen streiten, wenn Sie von der FDP überholt werden.
Das glaube ich keine Sekunde. Die FDP wird mit dem Nachahmen der SVP nicht gewinnen.
Die SP kann ihre zwei Sitze leichter halten, wenn Bundespräsidentin Micheline Calmy-Rey nochmals antritt. Wird sie das tun?
Wir führen diese Gespräche mit ihr im Sommer. Denkbar sind beide Szenarien. Entscheidend ist, was dem Landesinteresse dient.
Das klingt nun gar patriotisch. Es geht auch um das Interesse der SP.
Das sollte nicht berücksichtigt werden.
Aber wenn Calmy-Rey zurücktritt, müsste die SP bei den Gesamterneuerungswahlen als letzte ihren zweiten Sitz verteidigen. Das wäre eine Einladung an die anderen Parteien anzugreifen.
Die Ausgangslage wäre schwierig. Aber wenn Calmy-Rey zum Schluss kommt, dass ein Rücktritt im Interesse der Schweiz ist, soll sie es tun.
Werden Sie der SVP einen zweiten Sitz zugestehen, um einen Angriff der Bürgerlichen abzuwehren?
Die SVP hat zwei Sitze. Dass sie einen mit Eveline Widmer-Schlumpf verspielt hat, ist ihr Problem. Wie es im Dezember weitergeht, werden wir nach den Wahlen beurteilen.
Damit in Verhandlungen noch alles möglich ist?
Nein. Ich finde es respektlos, dass die SVP, CVP und BDP noch vor den Wahlen versuchen, Zusicherungen für die Bundesratswahlen zu erhalten. Wahlen sind eine Gelegenheit, Projekte vorzustellen. Darauf freue ich mich sehr.