Wenn das Männerherz für Kinder schlägt
Die Schweizerische Kriminalprävention arbeitet derzeit an einem delikaten Thema - einer Anlaufstelle für Pädophile. Denn das Problem ist verbreiteter als angenommen.
Sein Herz pocht. Es pocht immer schneller. Erst, als der kleine Knabe aus der Strassenbahn steigt, erholt sich seine Herzfrequenz allmählich. Der Fahrgast ist froh. Er will kein Täter werden. Er will seine pädophilen Neigungen in den Griff bekommen.
Die Szene spielt sich in einem Werbespot der Berliner Charité ab. Wenn bei Karl Weilbach das Telefon läutet, ist das Herzklopfen ganz real. Die Anrufer aber haben das gleiche Ziel. Sie kämpfen mit ihren pädosexuellen Neigungen. Und auch sie wollen kein Täter werden.
«Sie haben Angst, zum Täter zu werden»
Weilbach ist Kriminologe und Sexualtherapeut. Mit Menschen, die mit ihren pädophilen Neigungen nicht oder nur schwer umzugehen wissen, hat er täglich zu tun. «Die Personen sind verunsichert, haben Angst, dass sie zum Täter werden», sagt Weilbach. «Sie wollen Hilfe.» Immerhin melden sich schon heute in der Schweiz gelegentlich Männer freiwillig bei forensischen Institutionen, die im Normalfall nur verurteilte Straftäter therapieren. Trotzdem sehen Experten dringenden Handlungsbedarf.
Netzwerk von Therapeuten als Anlaufstelle
Das Hilfsangebot soll nun in der Schweiz verbessert werden. In Anlehung an die Erfahrungen der Berliner Charité arbeitet die Schweizerische Kriminalprävention SKP derzeit an einem Präventionsprojekt. Die SKP will laut Geschäftsführer Martin Boess ein Netzwerk von Therapeuten aufstellen und als Expertenliste auf dem Internet veröffentlichen. Personen mit ihren pädophilen Neigungen sollen sich dann leichter an einen Erstberater oder Therapeuten wenden können. Berater und Therapeuten, die auf der Liste stehen, müssen vorgängig an einer Hochschule einen Fachkurs absolvieren. «Denn nicht alle Fachleute gehen mit dem Thema Pädophilie gleich gut um».
Die Zahlen und die Dunkelziffer
In dem von Boess und Weilbach initiierten Kurs wird die «Qualitätssicherung» einer deliktorientierten Beratung und Therapie gross geschrieben. Und Boess sagt: «Dieses Netzwerk ist unbedingt notwendig.» Dies verdeutliche auch ein Blick über die Grenzen. Am Institut für Sexualmedizin der Berliner Charité haben sich seit dem Projektstart Mitte 2005 über 500 Pädophile gemeldet. 2006 registrierte die deutsche Polizei rund 13 962 Fälle von sexuellem Missbrauch an Kindern. Laut repräsentativen Umfragen werden 2,8 Prozent der Knaben und 8,6 Prozent der Mädchen bis 16 Jahre Opfer von sexuellen Übergriffen. Die Dunkelziffer dürfte viel höher sein.
Das Problem ist gross
Auch Martin Boess hat in letzter Zeit vermehrt Anfragen von Personen mit pädophilen Neigungen erhalten. Längst nicht alle Anrufer bringen ihr Problem direkt auf den Punkt. Dass sich die Zahl der Anfragen aber häuft, lässt auch für Boess den Schluss zu: «Das Problem ist grösser als man denkt.»
Diesem Problem entgegenzutreten, haben sich die Experten auf die Fahne geschrieben. Karl Weilbach meint: «Wir wollen die potentiellen Täter frühzeitig erreichen. Die Betroffenen müssen Selbstkontrolle lernen, denn „heilbar" ist ihre Neigung nicht. Bis Pädophile ihre Neigung selbst so weit steuern können, dass sie niemanden gefährden, dauert es Jahre.»
Marius Egger, 20minuten.ch