Dalai Lama in der SchweizDalai Lama bringt den Bundesrat in ein Dilemma
Brüskiert die Schweiz China zum zweiten Mal innerhalb kurzer Zeit? Die Tibeter in der Schweiz fordern vom Bundesrat, dass er den Dalai Lama im April empfängt. Daran hätte China keine Freude. Findet der Bundesrat einen Ausweg aus dem Dilemma?

Ein Händedruck im informellen Rahmen an der ETH Zürich: Bundesrat Pascal Couchepin trifft den Dalai Lama am Donnerstag, 4. August 2005, am Rande einer Veranstaltung
China ist zutiefst verärgert über die Schweiz. Das kommunistische Land stört sich daran, dass die Schweiz zwei Uiguren aus Guantánamo aufnimmt (20 Minuten Online berichtete). Das werde die Beziehungen untergraben, sagte ein Regierungssprecher. Und bereits droht ein weiteres Ereignis die Chinesen zu empören: Vom 7. bis 12. April weilt das religiöse Oberhaupt der Tibeter, der Dalai Lama, in der Schweiz. «Die tibetischen Organisationen in der Schweiz fordern, dass der Bundesrat den Dalai Lama offiziell empfängt», sagt Dicky Tethong, Vorstandsmitglied der Gesellschaft Schweizerisch-Tibetische Freundschaft. Das wiederum würde China erzürnen. In der Vergangenheit hatte das Land wiederholt Druck ausgeübt, um einen Empfang des Dalai Lamas zu verhindern. Zuletzt warnte China diese Woche den amerikanischen Präsidenten Barack Obama vor einem solchen Treffen.
Empfang im Bundeshaus gefordert
Den Dalai Lama zu treffen, sei «ein Stück weit eine Frage des Anstandes», sagte der damalige SVP-Präsident Ueli Maurer 2005 im «Tages-Anzeiger». Der Bundesrat solle dies tun, auch wenn die Chinesen keine Freude daran hätten. Inzwischen sitzt Maurer selbst in der Landesregierung und kann mitreden beim bundesrätlichen Abwägen zwischen wirtschaftlichen Interessen und Anstand. Letzteren fordern auch die Tibeter in der Schweiz. Das Treffen solle nicht in einem Nebengebäude stattfinden, sondern im Bundeshaus, sagt Tethong. In den nächsten Tagen wollen die tibetischen Organisationen ihre Anliegen in einem Schreiben an den Bundesrat darlegen.
In der Vergangenheit hatte sich der Bundesrat jeweils schwergetan mit dem Anstand gegenüber dem Dalai Lama. Beim letzten Besuch in der Schweiz verzichtete die Landesregierung auf ein Treffen mit dem religiösen Oberhaupt der Tibeter – angeblich aus terminlichen Gründen. Das geistige Oberhaupt der Tibeter musste sich mit der Nationalratspräsidentin Chiara Simoneschi-Cortesi begnügen. Dass er nicht von einem Bundesrat empfangen wurde, sei für ihn kein Problem, sagte der Dalai Lama damals. Und beim letzten Treffen, das bereits fünf Jahre zurückliegt, wählte die Regierung einen informellen Rahmen. Zuviel Ehre für den Dalai Lama würde die Chinesen verärgern. Nach langem Zögern traf schliesslich im August 2005 der damalige Bundesrat Pascal Couchepin den Dalai Lama am Rande einer Veranstaltung an der ETH. Der Ort, der Rahmen und die Funktion Couchepins als Religionsminister sorgten dafür, dass auch nicht der geringste Anschein eines offiziellen Empfangs entstand.
«Absage wäre Bückling vor China»
Diesmal könne der Bundesrat keine terminlichen Gründe vorschieben, sagt SP-Nationalrat Mario Fehr. Er hat bereits im letzten September eine Anfrage an den Bund gerichtet, in der er den Besuchstermin nennt und den Bundesrat anfragt, den Termin in seiner Agenda vorzumerken. Die Antwort blieb unverbindlich. Seit dieser Anfrage habe sich der Bundesrat nicht mehr mit dem Thema beschäftigt, sagt Bundesratssprecher André Simonazzi. Eine Anfrage für ein Treffen liege nicht vor. Trotzdem blickt Fehr, der auch Präsident der Parlamentarischen Gruppe für Tibet ist, dem Besuch optimistisch entgegen: Er erwarte, dass ein Regierungsmitglied den Dalai Lama treffen werde. «Eine Absage wäre ein Bückling vor China, den die Schweizer Bevölkerung nicht verstehen würde.»
Tatsache ist, dass der Besuch des Dalai Lama für die Schweizer Regierung ungelegen kommt. Bereits belastet die Aufnahme der zwei Uiguren aus Guantánamo die Beziehungen. Und dass China auch vor Drohungen nicht zurückschreckt, hatte es im Vorfeld des Entscheids klargemacht. In einem Brief an den Bundesrat drohte die chinesische Botschaft mit einer Verschlechterung der Beziehungen. Und diese sind in diesem Jahr besonders intensiv: Die beiden Länder feiern 60 Jahre diplomatische Beziehungen mit hochrangigen Besuchen, ein politischer Dialog über die bilateralen Beziehungen soll aufgenommen und das überarbeitete bilaterale Investitionsschutzabkommen in Kraft gesetzt werden. Schliesslich reist im August Bundespräsidentin Doris Leuthard an die Expo 2010 in Shanghai und beim wirtschaftspolitisch wichtigsten Dossier, dem Freihandelsabkommen, ist bis Ende Jahr eine Machbarkeitsstudie geplant. Für Nationalrat Fehr ist alles kein Hinderungsgrund für ein Treffen: «Man kann mit China problemlos Handel treiben und gleichzeitig über Menschenrechte reden oder den Dalai Lama treffen.»
Besuchsprogramm
Der Dalai Lama wird am 8. April in Zürich an den Feierlichkeiten zu 50 Jahre Tibeter in der Schweiz teilnehmen. Damals kamen die ersten tibetischen Flüchtlinge in die Schweiz. Später beschloss der Bundesrat, ein Kontingent von 1000 Personen aufzunehmen. Dafür möchten sich die Tibeter bei der Schweiz bedanken. Zum Festanlass werden der Bundesrat, National- und Ständeräte eingeladen sowie Initianten der damaligen Aufnahme beziehungsweise Angehörige von ihnen.
Am Samstag, dem 10. April, wird der Dalai Lama zudem von 8.30 bis 9.30 Uhr zu den Teilnehmern des First European Tibetan Youth Parliament sowie zu den Mitgliedern des Vereins Tibeter Jugend in Europa sprechen, der dieses Jahr sein 40-jähriges Jubiläum in der Schweiz feiert.
Vom 9. bis 11. April wird der Dalai Lama an der Mind and Life Conference im Kongresshaus Zürich teilnehmen. Diese findet zum Thema Uneigennützigkeit und Mitgefühl in der wirtschaftlichen Systemen statt. Zum Abschluss gibt es am Sonntagnachmittag, 11. April, von 13.30 bis 15.30 Uhr einen Public Talk im Hallenstation. Der Dalai Lama spricht auf Englisch mit deutscher Übersetzung zum Thema Universelle Verantwortung und Wirtschaft. (mdr)