Minarett-Initiative«Zahn um Zahn kann nicht die Antwort sein»
Das Parlament wird die Minarett-Initiative in der Herbstsession beraten. Bei Annahme durch das Stimmvolk würde sich die Schweiz auf eine Stufe mit den restriktivsten islamischen Ländern stellen, wo der Bau von Kirchen massiv erschwert oder sogar unmöglich ist. Gemässigtere Beispiele zeigen, dass es auch anders geht.
Am 12. September beginnt die Herbstsession der eidgenössischen Räte. Eines der brisanteren Geschäfte auf der Traktandenliste ist die Volksinitiative «gegen den Bau von Minaretten», die am 28. Juli zustande gekommen war. Der Bundesrat lehnt die Initiative ab, sie verstosse gegen international garantierte Menschenrechte und zentrale Werte der Bundesverfassung. Das letzte Wort hat das Stimmvolk. Es entscheidet an der Urne, ob hierzulande weiter islamische Gebetshäuser mit dazugehörigem Turm gebaut werden dürfen oder nicht.
«Es gibt nicht den einen Islam»
Ein Argument, das für hitzige Diskussionen sorgen wird, ist die Situation des Christentums in der islamischen Welt. In ihrem «Islam-Argumentarium» schreibt das Initiativkomitee, dass «in vielen Ländern, in denen Minarette dominieren, die Errichtung zum Beispiel christlicher Kirchen strikte verboten ist und Christen nicht selten verfolgt werden». Unabhängig davon, wie man die zugrunde liegende Forderung «Gleiches mit Gleichem zu vergelten» beurteilt: Die Beziehung zwischen Christen und Moslems in islamischen Ländern ist komplex und verdient eine genauere Analyse.
«Es gibt nicht den einen Islam», warnt Gerd Stricker vom Institut G2W, das die Situation des Christentums in islamischen Ländern regelmässig analysiert und kommentiert. «Grundsätzlich befindet sich das Christentum dort unter Druck, wo es mit dem radikalisierten Islam konfrontiert ist».
Christen im radikalen Islam
In Saudi-Arabien, wo die radikalste Form des Islams, der Wahabismus, vorherrscht, ist der Bau von Kirchen tatsächlich verboten. Die Behörden berufen sich dabei auf eine angebliche Aussage des Propheten Mohammeds, auf der arabischen Halbinsel dürfe ausschliesslich der Islam praktiziert werden. Christlichen Gastarbeitern (meist Filipinos) bleibt heute nichts anderes übrig, als ihren Glauben ausschliesslich im Privaten auszuüben und sogar Bibel und Kruzifix zu Hause zu lassen.
Nur bedingt grosszügiger zeigt sich Ägypten: Hier steht das Katharinenkloster, das eine der ältesten Kirchen der Welt beherbergt. Aber wer eine neue bauen möchte, braucht eine spezielle Erlaubnis des Staatspräsidenten. In der Praxis sind sogar einfache Reparaturarbeiten an bestehenden Kirchen problematisch.
Die Vorstellung, die liberale Schweiz könnte sich rechtsstaatlich in die Nähe dieser Länder begeben, dürfte nicht nur Gerd Stricker schwerfallen: «Auge um Auge, Zahn um Zahn kann nicht die Antwort sein. Sicher sollte der Bau von Minaretten streng geregelt sein, aber sie grundsätzlich zu verbieten, geht zu weit».
Christen im gemässigten Islam
Wie stark in der islamischen Welt die Akzeptanz des Christentums variiert, zeigt das Beispiel des Landes mit der grössten muslimischen Bevölkerung der Welt: In Indonesien leben 191 Millionen Moslems, fast siebenmal so viele wie in Saudi Arabien. Der Islam ist jedoch nicht Staatsreligion, sondern steht mit Katholizismus, Protestantismus, Buddhismus und Hinduismus auf einer Stufe. Darüber hinaus geben viele Indonesier den Islam zwar als offizielle Religion an, praktizieren in Wirklichkeit aber eine Naturreligion. Dass die 18 Millionen Christen in Indonesien Schwierigkeiten hätten, Kirchen zu bauen, ist nicht bekannt.
Unerwartet tolerant gibt sich auch der Iran: Die 280 000 dort lebenden Christen (0,4 Prozent der Bevölkerung) haben Anspruch auf drei garantierte Sitze im Parlament (1 Prozent). Laut Verfassung sind sie in der Ausübung ihres Glaubens frei. Dass etwa christliche Armenier den im Islam streng verbotenen Alkohol herstellen und konsumieren, ist bekannt und wird geduldet.
Massive Repression in Saudi-Arabien, relative Unaufgeregtheit in Indonesien - wenn schon mit Christentum und Islam Abstimmungskampf gemacht wird, sollte dass ganze Spektrum ins Feld geführt werden.
Grosse Unterschiede im Nahen Osten
Saudi-Arabien explizit verboten.
Türkei ist der Neubau von Kirchen ein schwieriges Unterfangen; ausländischen Geistlichen ist jede Tätigkeit im Land verboten. Die Kirche darf es als «Körperschaft des öffentlichen Rechts» nicht geben, sondern nur als «nicht-muslimische Stiftung».