«Zum Glück liest niemand das Parteiprogramm»

Aktualisiert

Retro-Programm«Zum Glück liest niemand das Parteiprogramm»

Die SP will den Kapitalismus weiterhin überwinden. Viele SP-Parlamentarier sind nicht begeistert – und hoffen auf vergessliche Wähler.

Lukas Mäder
von
Lukas Mäder
Am SP-Parteitag setzten sich radikale Positionen durch.

Am SP-Parteitag setzten sich radikale Positionen durch.

Das Unverständnis nach dem SP-Parteitag in Lausanne ist gross: Er habe einige Telefonanrufe erhalten von SP-Mitgliedern, die sich über die beschlossenen Positionen gewundert hätten, sagt Andy Tschümperlin, Schwyzer SP-Nationalrat und Vize-Fraktionschef. «Gerade in der Zentralschweiz sind die Beschlüsse auf Unverständnis gestossen.» Der Parteitag der Sozialdemokraten hatte am Wochenende beschlossen, an der Überwindung des Kapitalismus als Ziel festzuhalten sowie die Abschaffung der Armee und einen EU-Beitritt anzustreben. «In der Zentralschweiz politisiert die SP pragmatischer», sagt Tschümperlin.

Tschümperlin ist mit seiner Kritik nicht alleine. Der Zürcher SP-Nationalrat Daniel Jositsch findet die Beschlüsse «nicht zweckmässig». Die Basler Nationalrätin Silvia Schenker spricht von radikalen Beschlüssen. Weniger zurückhaltend formuliert es die Basler Ständerätin Anita Fetz. «Die beschlossenen Positionen sind ziemlich vorgestrig», sagt sie. Offensichtlich habe in Lausanne Retro-Stimmung geherrscht.

Romands und Junge gaben Ausschlag

Dass der Tagungsort in der Romandie einen Einfluss auf das Resultat gehabt habe, kann sich Fetz vorstellen. Möglicherweise hätten überdurchschnittlich viele Romands teilgenommen. «Sie politisieren in vielen Fragen nicht gleich wie wir Deutschschweizer», sagt Fetz. Tschümperlin teilt diese Einschätzung: «Dass der Parteitag in Lausanne stattfand, war für uns nicht nur positiv.» Die zahlenmässig grössere Vertretung von Romands am Parteitag stärke den linken Flügel der SP, sagt er. Als weiteren Faktor sieht Tschümperlin die Jungsozialisten (Juso). Diese hatten sich aktiv für radikale Positionen eingesetzt.

Zwar äussern sich Parlamentarier kritisch zu den Beschlüssen der Partei. Für die Eidgenössischen Wahlen im nächsten Jahr erwarten sie trotzdem keine Nachteile. «In einem Jahr weiss niemand mehr, was da drin steht», sagt Jositsch. Auch Fetz glaubt, dass die Wähler dem Parteiprogramm wenig Bedeutung zumessen: «Zum Glück liest niemand das Parteiprogramm.» Die jüngsten Beschlüsse seien zwar nicht hilfreich für den kommenden Wahlkampf, sagt Tschümperlin. «Wichtiger ist die tägliche politische Arbeit.» Und da habe die SP gute Themen.

Keinen Einfluss auf politische Arbeit

Es gebe einen Unterschied zwischen einem visionären Parteiprogramm und der Realpolitik, sagt Schenker. Und Realpolitik sei eine Politik der kleinen Schritte. Ebenfalls nicht beeinflussen in seiner persönlichen Haltung lässt sich Tschümperlin: «Ich nehme das Parteiprogramm nicht als Bibel.» Und Jositsch findet die Beschlüsse nicht so tragisch: «Sie werden nicht in die alltägliche politische Arbeit einfliessen.»

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