Volksinitiativen sollen vorgeprüft werden

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VölkerrechtVolksinitiativen sollen vorgeprüft werden

Immer öfters kommen Volksinitiativen in Konflikt mit dem Völkerrecht. Dagegen will der Bundesrat vorgehen.

Volksinitiativen wie jene zur Verwahrung oder zur Ausschaffung tangieren immer wieder das Völkerrecht. Der Bundesrat schlägt nun vor, Begehren auch inhaltlich vorprüfen zu lassen. Zudem soll das Parlament sie auch dann für ungültig erklären können, wenn sie nicht zwingendes Völkerrecht verletzen.

Die Volksbegehren, die mit dem Völkerrecht in Konflikt stehen, haben sich in den letzten Jahren gehäuft: von der Verwahrungs- über die Minarett- und die Ausschaffungsinitiative bis hin zur zurückgezogenen Initiative zur Wiedereinführung der Todesstrafe.

Der Bundesrat stellt nun in einem Bericht Massnahmen zur Diskussion, um den Konflikt zu entschärfen. Demnach könnte die Bundesverwaltung eine Einschätzung darüber abgeben, ob eine Initiative mit dem Völkerrecht vereinbar ist. Die Initianten würden noch vor der Unterschriftensammlung eine juristische Stellungnahme erhalten, wie Justizministerin Simonetta Sommaruga am Donnerstag vor den Medien in Bern sagte.

Diese Stellungnahme wäre nicht bindend - die Initianten könnten frei entscheiden, ob sie den Initiativtext anpassen wollen. Auf dem Unterschriftenbogen würde das Ergebnis der Prüfung vermerkt. «Damit wären die Stimmbürger noch besser in der Lage zu entscheiden, ob sie mit ihrer Unterschrift eine Initiative unterstützen wollen oder nicht», sagte Sommaruga. Ein Beschwerdeweg für die Initianten ist nicht vorgesehen.

Um eine solche Vorprüfung einzuführen, müsste das Bundesgesetz über die politischen Rechte geändert werden. Für die inhaltliche Prüfung zuständig wären das Bundesamt für Justiz (BJ) und die Direktion für Völkerrecht im Aussendepartement (EDA).

Bisher prüft die Bundeskanzlei Initiativen lediglich auf formelle Aspekte wie einen allenfalls irreführenden Titel. Die neu vorgeschlagene Prüfung will die Volksbegehren auch inhaltlich unter die Lupe nehmen.

Nach geltendem Recht kann das Parlament eine Initiative für ungültig erklären, wenn sie zwingendem Völkerrecht widerspricht - etwa dem Verbot von Folter, Völkermord oder Sklaverei. Vorlagen, die übriges Völkerrecht wie Staatsverträge verletzen, sind gültig.

Keine Chance bei Zwangsheirat oder Todesstrafe

Neu soll das Parlament auch Begehren für ungültig erklären können, die den sogenannten Kerngehalt der verfassungsrechtlichen Grundrechte verletzen. Darunter fallen laut Sommaruga beispielsweise Zwangsheirat, Todesstrafe oder der erzwungene Beitritt zu einer religiösen Gemeinschaft.

Eine Initiative zur Einführung der Todesstrafe wäre damit laut Sommaruga nicht mehr möglich. Nach wie vor für gültig erklärt würde hingegen die Minarett-Initiative. Denn, so die Justizministerin, diese Initiative tangiere zwar mit der Religionsfreiheit ein Grundrecht, nicht aber dessen Kerngehalt.

Der Bundesrat hat laut Sommaruga darüber diskutiert, ob die Einschränkungsgründe erweitert werden sollten - etwa auf das Diskriminierungsverbot. Der Bundesrat habe sich dagegen ausgesprochen, um die Volksrechte nicht zu stark einzuschränken. Der Bundesrat sei sich bewusst, dass er mit den Neuerungen «nicht alle Initiativen, die mit dem Völkerrecht möglicherweise im Widerspruch stehen, aus dem Verkehr ziehen kann».

Um diese zweite Neuerung einzuführen, müsste die Verfassung geändert werden. Das letzte Wort dazu hätten Volk und Stände.

Sommaruga: Nicht alle «aus dem Verkehr ziehen»

Von einer zusätzlichen Regel rät der Bundesrat ab, weil er deren Nachteile für überwiegend hält: In der Bundesverfassung soll nicht verankert werden, welches Recht bei Widersprüchen zwischen Landes- und Völkerrecht den Vorrang hat.

Auch weitere Ideen hat die Regierung geprüft und verworfen. So sollen nicht automatisch sämtliche Initiativen für ungültig erklärt werden, die gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstossen. Und die inhaltliche Prüfung soll nicht durch das Bundesgericht vorgenommen werden - die Lausanner Richter sollten für die Anwendung des Rechts im Einzelfall zuständig sein und nicht für grundsätzliche Überlegungen, sagte Sommaruga. Zudem stelle sich die Frage der Gewaltentrennung.

Über den Zusatzbericht von Justizdepartement, Aussendepartement und Bundeskanzlei können nun die Parlamentskommissionen diskutieren, bevor das Parlament darüber entscheidet, ob es dem Bundesrat den Auftrag zu den notwendigen Gesetzesänderungen erteilen will.

Mit der Frage von Landes- und Völkerrecht hat sich auch das Parlament bereits mehrfach beschäftigt. Unter anderem lehnte es der Nationalrat letzten Herbst ab, in der Verfassung genau zu definieren, was unter den Begriff des zwingenden Völkerrechts fällt. Seine staatspolitische Kommission sprach sich dagegen aus, die Gültigkeit einer Initiative vor Beginn der Unterschriftensammlung durch ein Gericht beurteilen zu lassen. (sda)

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