Affäre Gaddafi«Es kursieren gar Verschwörungstheorien»
Im Konflikt mit Libyen könnte die Schweiz auf Verbündete im Ausland zählen, darunter Italien, Grossbritannien und die USA. Das meint ein Experte. Die Schweiz sollte es eigentlich leicht haben im Umgang mit einer nordafrikanischen Autokratie.
Dies sagte Dieter Ruloff, Professor für internationale Beziehzungen der Universität Zürich gegenüber der «Thurgauer Zeitung» und dem «Landboten» vom Samstag.
«Italien und Grossbritannien haben gute Beziehungen zu (Staatschef Muammar al-) Gaddafi, und sie legen Wert auf gute Beziehungen zur Schweiz», sagte Ruloff im Interview. Auch die USA könnten der Schweiz helfen, den Konflikt zu lösen - «leistet doch die Schweiz im Dialog mit dem Iran für die Grossmacht gute Dienste».
Gemäss Ruloff wäre dabei auch der Streit mit den USA wegen der Grossbank UBS kein Hindernis. Dieser sei inzwischen beigelegt. Dieser Streit zeige ausserdem: «Wenn die Schweiz mit einer solchen Supermacht zurechtkommt, sollte sie das auch mit einer nordafrikanischen Autokratie schaffen».
Die Schweiz solle ausserdem auf geheime, informelle Kontakte setzen, um die beiden Schweizer Geschäftsleute, die Libyen seit über einem Jahr nicht verlassen dürfen, aus dem Land auszulösen.
Libyen geht von Verschwörung aus
Allerdings räumte Ruloff ein, dass die Verhandlungen schwierig sind - alleine schon, weil die beiden Länder verschiedene «Welten» seien. Zur Reise von Bundespräsident Hans-Rudolf Merz nach Tripolis, sagte er: «Merz ist ein Gentlemen und glaubte wohl, auch in Libyen einen Gentlemen vorzufinden.» Gaddafi sei aber ein «orientalischer Autokrat».
Hinzu komme, dass die Libyer nicht verstehen könnten, wie ein Rechtsstaat oder gar der Föderalismus funktionierten. «Darum geht man in Libyen wohl davon aus, dass der Einsatz gegen Gaddafis Sohn, Hannibal, in Genf bewusst von Bern provoziert wurde. Es kursieren gar Verschwörungstheorien.»
Kein Abbruch der Beziehungen
Ruloff sprach sich gegen einen Abbruch der Beziehungen aus. «Nachhaltiger ist es doch zu versuchen, Staaten wie Libyen dazu zu bewegen, sich zu den international üblichen Umgangsregeln zu verpflichten.»
Zudem gebe es Wirtschaftsinteressen der Schweiz im arabischen Raum, «wo Gaddafi eine sehr mächtige Rolle spielt.» Dabei gehe es nicht nur um Öl oder Geldanlagen, sagte der Professor und verwies darauf, dass reiche Araber in Genf «zeitweise sämtliche Hotels» füllten. «Solche Kriterien darf die Schweiz nicht ausser Acht lassen, das wäre eine krasse Dummheit.»
(sda)
Der Vertrag mit Libyen
Bundespräsident Hans-Rudolf Merz hat am 20. August in Tripolis den Vertrag zwischen Libyen und der Schweiz unterzeichnet. Er soll die Krise zwischen den beiden Staaten beenden. Der Vertrag regelt hauptsächlich das Schiedsgericht, das die Verhaftung von Hannibal Gaddafi im Juli 2008 in Genf beurteilen soll. Innerhalb von 10 Tagen nach der Unterzeichnung bezeichnen beide Parteien ihren Vertreter des Schiedsgerichts. Diese wiederum bezeichnen ein drittes Mitglied, das das Gericht präsidiert. Können sich die beiden Parteienvertreter nicht bis 30 Tage nach Unterzeichnung einigen, wird der Präsident des Schiedsgerichts vom Internationalen Gerichtshof in Den Haag ernannt.
Das Schiedsgericht mit Sitz in London muss bis 60 Tage nach Eröffnung des Verfahrens einen Entscheid fällen. Sieht das Schiedsgericht ein Vergehen der Genfer Polizei, sollen die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden. Die Schweiz muss eine Kompensation bezahlen in der Höhe, die das Schiedsgericht festsetzt. Die Kosten für das Tribunal teilen sich die beiden Staaten.
Weiter schreibt der Vertrag vor, dass die Schweizer Regierung sich offiziell und öffentlich für die «ungerechtfertigte und unnötige» Verhaftung Hannibals entschuldigen muss. Das hat Bundespräsident Merz am 20. August in Tripolis getan. Gemäss des Vertrags stellen Libyen und die Schweiz innerhalb von 60 Tagen die normalen bilateralen Beziehungen wieder her. Dazu gehört explizit auch der konsularische Bereich mit Einreise- und Ausreisevisa. Die beiden seit Juli 2008 zurückgehaltenen Geiseln erwähnt der Vertrag nicht. Ihnen wirft Libyen Verstösse gegen Visabestimmungen vor. (mdr)