Scharfe Kritik an Überwachungs-Plänen

Aktualisiert

Sommaruga im GegenwindScharfe Kritik an Überwachungs-Plänen

Justizministerin Simonetta Sommaruga will die Überwachungsmethoden im Internet ausweiten. Ihre Pläne lösen heftige Reaktionen aus.

Justizministerin Simonetta Sommaruga will die Überwachungsmethoden im Internet über eine Verordnung ausweiten. Dafür erntet sie heftige Kritik. Die Revision des Gesetzes mit ähnlichem Inhalt kommt seit einem Jahr nicht vorwärts.

Stein des Anstosses ist die Verordnung über die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs (VÜPF). Darin ist heute geregelt, wie die Überwachung der E-Mails von Tatverdächtigen abzulaufen hat. In einem Entwurf für eine neue Verordnung schlägt der Bund aber Regeln zur Überwachung des gesamten Echtzeit-Internetverkehrs vor.

Wenn es eine Staatsanwaltschaft anordnet, werden demzufolge auch Telefongespräche über Internet abgehört (Skype), Chats mitgelesen oder Passwörter abgefangen. Zum VÜPF-Entwurf läuft bis am Freitag eine Anhörung.

Eingeladen zur Stellungnahme sind aber nur wenige Organisationen. Zahlreiche andere richteten sich in den vergangenen Tagen jedoch mit Protesten an die SP-Bundesrätin Sommaruga, wie der «Tages-Anzeiger» am Donnerstag berichtete.

Rechtsstaatlich bedenklich

Dazu gehört etwa ICTswitzerland, der Dachverband des Schweizers Informatik- und Telecomsektors. «Das Vorgehen ist rechtsstaatlich höchst bedenklich», sagte Sprecher Andreas Hugi auf Anfrage der Nachrichtenagentur sda. Der Bund erlasse Ausführungsbestimmungen für Massnahmen, die keine genügende gesetzliche Grundlage hätten.

Solche sind aber aus Sicht der Verbände nötig, weil die Überwachung der Kommunikation rechtlich höchst heikel ist. Es wird in Grundrechte eingegriffen, was nur mit einer klaren gesetzlichen Richtlinie erlaubt ist. Die Verbände betonen aber, dass sie für die Strafverfolgung im Internet grundsätzlich Hand bieten wollten.

Die gesetzlichen Grundlagen für die Verordnungsänderungen seien gegeben, sagte Sommarugas Sprecherin Christine Stähli auf Anfrage der sda. Die Verordnung werde lediglich der Realität angepasst. Die Strafverfolgungsbehörden ordneten die Internetüberwachungen heute regelmässig an.

Verordnung zurückstellen

Die Ausgangslage für die VÜPF ist komplex: Heute lassen die Gerichte die Überwachung jeder «fernmeldetechnischen Übertragung» zu, also auch des Internetverkehrs. Wie weit die Überwachung aber gehen darf, ist nach Meinung der Branchenverbände nicht eindeutig geregelt.

Es sei zweifelhaft, ob der «stark erweiterte Katalog der Überwachungsmassnahmen» vor dem Bundesgericht standhalten würde, hält etwa Swico, der Wirtschaftsverband für die digitale Schweiz, fest. Deshalb solle die Verordnung zurückgestellt werden, bis das übergeordnete Bundesgesetz (BÜPF) revidiert sei, fordert Swico.

Einen Vorschlag für eine umfassende Revision des BÜPF präsentierte der Bundesrat im vergangenen Jahr. Darin vorgesehen sind etwa Regelungen für die Überwachung der Internettelefonie, wie sie das neue VÜPF enthalten soll. Erlaubt würde mit dem neuen Gesetz aber auch der Einsatz von Trojanern zur Ausspähung von Computern.

Die Kritik am Gesetzesentwurf war gross. Wo die Revision heute steht, ist unklar. Vor gut einem Jahr lief die Vernehmlassung zum Entwurf ab, ein Bericht wurde nie veröffentlicht. Auch dieser Umstand stösst bei den Verbänden auf Unverständnis.

Das Telekomunternehmen Swisscom, das sich offiziell äussern durfte, zeigt sich ebenfalls irritiert, dass die Verordnung vor dem Gesetz angepasst wird. Doppelspurigkeiten und höheren Kosten könnten die Folge sein, sagte ein Sprecher zur sda.

Auf Vorrat sammeln

Aus Sicht der Interessengemeinschaft Digitale Gesellschaft gehen die VÜPF-Erweiterungen auch in Richtung Vorratsdatenspeicherung: Auch ohne Verdacht würden Daten von Internetnutzern gespeichert, um sie «bei Bedarf gezielt auswerten zu können». Dieser Eingriff müsse zwingend in einem Gesetz geregelt sein, hält die Organisation fest, hinter der Grundrechtsorganisationen und die Piratenpartei stehen.

Der Verband Swico, der auch die Schweizer Niederlassungen von Google oder Microsoft vertritt, befürchtet zudem, dass die Überwachung mit der neuen VPÜF auch auf «Internet-Anbieter» ausgeweitet werden könnte, die nicht nur für die Übertragung von Daten zuständig sind.

Das könnte dazu führen, dass beispielsweise Google plötzlich Passwörter oder Daten herausgeben müsste. Entsprechend fordert Swico eine Präzisierung, was ein «Internet-Anbieter» sei.

Weitere Kritik gilt der Kostenfrage. Dafür müssen laut Gesetz die Internet-Anbieter aufkommen. Vor allem für kleinere Internetprovider könne diese Belastung existenzbedrohend sein, sagte Swico- Geschäftsführer Paul Brändli. Die Kosten könnten «in die Hunderttausenden Franken gehen». (sda)

Bundesverwaltungsgericht stoppt Überwachungen

Wegen der unklaren Rechtslage scheitert der Bund regelmässig bei den Providern, wenn er Überwachungen anordnet. Im Juni hiess das Bundesverwaltungsgericht zwei Beschwerden von Swisscom und Sunrise gut. Das Gericht forderte den Bund auf, klarere Regeln zu schaffen.

In den Fällen ging es um die Überwachung eines mobilen Internetzugangs und eines Breitbandanschlusses. Überwacht werden sollte der «gesamte Internetverkehr» einer Person. In einem der Fälle kritisierten die Provider, dass sie 500 000 Franken investieren müssten, um die Anforderungen zu erfüllen.

Zwar bezeichnete das Gericht die angeordnete Überwachung als rechtmässig. Dennoch scheiterte die Anordnung der Überwachung: Der Bund kann wegen einer Lücke in der Verordnung über die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs (VÜPF) den Provider nicht zur Überwachung zwingen.

Weil in der Verordnung nur die Überwachung des E-Mail-Verkehrs geregelt ist, kann der Bund den Provider nicht verpflichten, die kostspieligen, aber nötigen Installationen für andere Überwachungen bereitzustellen. Faktisch ist damit die Überwachung des gesamten Internetverkehrs etwa über die Mobiltelefonie nicht möglich.

In seinem Urteil forderte das Gericht den Bund deshalb zu einer «raschen Revision der VÜPF» auf. Mit dem Entwurf zu einem neuen VÜPF schafft das Eidg. Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) nun solche Grundlagen. (Urteile A-8267/2010, A-8282/2010)

Deine Meinung zählt