Mehr Hilfe für depressive Mütter gefordert

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Baby da, Freude wegMehr Hilfe für depressive Mütter gefordert

Jede zehnte Frau fällt nach der Geburt in eine Depression - Tendenz steigend. Nun schlägt der Hebammen-Verband Alarm: Er fordert, die Betreuung der Mütter zu verlängern.

von
Jessica Pfister
Kummer statt Mutterglück: Etwa jede zehnte Frau erleidet nach der Geburt eine Depression.

Kummer statt Mutterglück: Etwa jede zehnte Frau erleidet nach der Geburt eine Depression.

Enttäuscht, erschöpft, überfordert: Jedes Jahr stürzt das freudige Ereignis der Geburt rund 10 000 Frauen in der Schweiz in die Krise. Sie erkranken an einer postnatalen Depression.

Für Familie und Freunde ist die Krankheit schwer zu erkennen, da Betroffene gegen aussen oft so wirken, als hätten sie alles im Griff. Auch die Mütter selbst wissen oft lange Zeit nicht, was mit ihnen nicht stimmt.

Helfen könnte hier eine Fachperson, die die Frau bereits vor und während der Geburt begleitet hat. Heute bezahlt die Krankenkasse die Betreuung durch eine Hebamme bis zehn Tage nach der Geburt. Laut dem Schweizerischen Hebammenverband SHV ist dies viel zu kurz. «Die postnatale Depression entsteht meist nicht in den ersten zehn Tagen nach der Geburt, sondern erst in den Wochen danach», sagt Geschäftsführerin Doris Güttinger gegenüber 20 Minuten Online. Doch dann sei nicht klar, wer überhaupt für die Betroffenen zuständig sei. «Es gibt keine koordinierte Anlaufstelle», so die Expertin. Der SHV verlangt deshalb eine bessere Koordination zwischen den Akteuren und den Aufbau von Präventionsprogrammen, um Frauen besser aufzuklären.

Betreuungstage verlängern

Als Teil der Prävention stellt der Hebammenverband die neue Idee einer flexiblen Betreuung zur Diskussion. «Statt am Stück sollen Frauen während ihrer Wochenbettzeit von sechs Wochen frei wählen können, wann sie die zehn Betreuungstage durch die Hebamme einbeziehen», erklärt Güttinger. Die Kosten für die Krankenkassen würden dadurch nicht steigen. Liliane Maury Pasquier, SP-Ständerätin und Präsidentin des Hebammenverbandes, will das Thema nach den Wahlen im Parlament vorantreiben. «Den Frauen wäre sicher geholfen, wenn die Betreuungstage im Krankenkassengesetz verankert würden», sagt Maury Pasquier. Ein politischer Vorstoss würde auch gleich die Flexibilisierung der Besuchstage miteinbeziehen.

Der Krankenkassenverband Santésuisse hört zum ersten Mal vom Vorschlag einer Ausdehnung der Betreuungstage, wie Mediensprecherin Silvia Schütz sagt. «Die zehn Tage sind Bestandteil eines bestehenden, gültigen Vertrages, über den man grundsätzlich jederzeit verhandeln kann», sagt Schütz. Die Schweizerische Konferenz der Gesundheitsdirektoren (GDK) würde dies begrüssen. Laut Projektleiterin Daniela Schibli mache es Sinn, die Betreuungstage über eine längere Periode zu beziehen.

Dieser Meinung ist auch Psychiaterin Michèle Abelovsky. «Eine längere Betreuung könnte die Chance erhöhen, Depressionen zu entdecken», sagt die Expertin, die in der Psychiatrischen Poliklinik Winterthur eine Spezialsprechstunde für Frauen mit nachgeburtlichen Depressionen aufgebaut hat. Hebammen würden als Vertrauensperson eine wichtige Rolle bei den Frauen spielen und könnten bei einem Verdacht auf Erkrankung, die Betroffenen an eine Fachpersonen weiterleiten. «Je eher Hilfe gesucht wird, desto grösser die Chancen, dass schnell eine nachhaltige Besserung auftritt.»

«Wissen um Betreuungstage fehlt»

Beim Verein Postnatale Depression Schweiz kommt der Vorschlag der Hebammen ebenfalls an. «Ich könnte mir sogar eine Verlängerung der Bezugsdauer bis zu einem Jahr vorstellen», sagt Co-Präsidentin Marion Bigger. Bedenklich sei, dass heutzutage viele Frauen nicht einmal wüssten, dass ihnen eine bezahlte Betreuung durch Hebammen zustehe. «Und selbst wenn sie es wissen, müssen sie diese selber organisieren», kritisiert Bigger, die nach der Geburt ihres zweiten Kindes vor sieben Jahren selbst fast ein Jahr unter einer Depression litt. «Aus eigener Erfahrung weiss ich, dass eine Frau in einer Depression kaum mehr in der Lage ist, sich Hilfe zu suchen.»

Deshalb sei es so wichtig, dass die Betreuung der Frauen nach dem Spital oder dem Geburtshaus besser koordiniert werde. «Beim Austrittsgespräch müssen die Verantwortlichen den Frauen klar aufzeigen, welche Betreuungsangebote sie als nächstes nützen können und diese allenfalls auch gleich organisieren.»

Kein Babyblues

Eine postnatale oder postpartale Depression macht sich unter anderem durch Ängste, Herzrasen, Schlaflosigkeit, Panikattacken, Schuldgefühle, und Gefühlskälte gegenüber dem Neugeborenen bemerkbar. Die möglichen Ursachen reichen von Schwangerschaftsproblemen über wirtschaftliche Schwierigkeiten bis zur depressiven Veranlagung. Es spielen jedoch immer mehrere Gründe zusammen. Häufig ist eine Behandlung mit Antidepressiva notwendig. Zudem empfehlen Experten, sich mit einem Therapeuten auf die Suche nach den genauen Ursachen zu machen und sich in Selbsthilfegruppen auszutauschen.

Nicht jedes Stimmungstief muss allerdings gleich eine Depression sein: Den sogenannten Babyblues, welcher durch die hormonelle Umstellung in den ersten Tagen nach der Geburt hervorgerufen wird, erleben relativ viele Frauen. Sie sind einige Tage weinerlich und launisch. Davon sind gemäss Postnatale Depression Schweiz rund 40 bis 80 Prozent der frischgebackenen Mütter betroffen. (jep)

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