Todesraser werden nicht aus dem Verkehr gezogen
Ein siebenfach vorbestrafter Raser überfährt und tötet eine 14-Jährige – und darf dank dem gestrigen aargauischen Richterspruch seinen Fahrausweis behalten. Eine Ausnahme? Nein, wie die Angehörigen des Unfallopfers mit blankem Entsetzen erfahren haben.
Es ist gut zwei Jahre her, seit die 14-jährige Tiziana aus Wohlen ihr Leben lassen musste, weil ein notorischer Autoraser sie beim Überqueren der Strasse angefahren hat. Ungebremst ist der 39-jährige Italiener damals in sie hinein gefahren. Der Aufprall hat das Mädchen 37 Meter weit weg in ein Feld geschleudert – das Auto kam erst nach rund 200 Metern zum Stillstand.
Siebenmal wurde dem Mann vor diesem tödlichen Unfall bereits der Führerausweis wegen Geschwindigkeitsüberschreitungen entzogen. Trotzdem entschied das Aarauer Verwaltungsgericht gestern, dass ein neuerliche Führerausweisentzug einen «unverhältnismässigen Eingriff» darstelle und deshalb aufzuheben sei (20minuten.ch berichtete).
Familie ist entsetzt
«Die Familie ist entsetzt über dieses Urteil», sagt Roland Wiederkehr von der Strassenopfer-Stiftung RoadCross. Gemeinsam mit den Hinterbliebenen des Opfers überlegt er derzeit, wie nun weiter vorgegangen werden soll. Auch von einer Demonstration ist die Rede, denn «dieses Urteil ist nur ein Beispiel von drei.»
Fall 1: Am 27. Mai 2005 fährt der 82-jährige Paul P. in Brugg mit seinem Auto die 15-jährige Olivia zu Tode. Die Aargauer Justiz will die Untersuchungen und das Verfahren wegen Demenz des Autofahrers einstellen. Doch: Warum durfte der einäugige, demente und schwer zuckerkranke Mann überhaupt noch Auto fahren? RoadCross will mit den Eltern von Olivia wissen, warum Ärzte und Strassenverkehrsamt nicht rechtzeitig gehandelt haben. Das Bundesgericht weist die Aargauer Justiz an, den Fall wieder aufzunehmen. Aber der Untersuchungsrichter Samuel Sumi trödelt. Am 4. Januar 2008 stirbt Paul P. Eine Obduktion könnte aufzeigen, ob dessen Fahrtauglichkeit zum Zeitpunkt der Tötung der Schülerin noch bestanden hat oder nicht. Bezirksamtmann Sumi lässt zu, dass Paul P. eingeäschert wird.
Fall 2: Ein Porsche-Fahrer tötet im August 2003 eine 16-jährige Velofahrerin. Mit rund 130 Stundenkilometern rast er ungebremst auf eine Kreuzung zu, wo der tödliche Unfall geschah. Das Bezirksgericht Rheinfelden verurteilte den Fahrer zu zwei Jahren unbedingt, u.a. mit dem Hinweis, der Täter habe bereits im Jahre 1997 einen Strafregister-Eintrag wegen Tempoexzess erhalten. Das Aargauer Obergericht wandelt das Urteil um in zwei Jahre bedingt. In der Begründung sagte die Richterin, die Vorstrafe von 1997 sei gelöscht seit 2007 und dürfe gemäss neuem Strafrecht nicht mehr für die Beurteilung eines neuen Falles heran gezogen werden. Die 4 1/2 Jahre Verschleppung des Falles durch die Gerichte hat sich also für den Täter gelohnt. Und: Der Raser hat offenbar seinen Fahrausweis keinen Tag abgeben müssen.
«Strassenverkehrsamt hat versagt»
«Bei allen drei Fällen liegt ein klares Versagen des Strassenverkehrsamtes vor», sagt Roland Wiederkehr. «Wir versuchen nun gemeinsam mit den Hinterbliebenen, im Grossen Rat eine genaue Untersuchung der Vorgänge im Strassenverkehrsamt zu erreichen, denn vielleicht führen Systemfehler zu diesen viel zu milden Vorgehensweisen.»
Im Bezug auf den Horrorunfall von Brugg haben die Eltern und Grosseltern von Olivia zusammen mit RoadCross beim Regierungsrat eine Untersuchung der Vorgänge und Weiterverfolgung der Untersuchungen durch ausserkantonale Experten verlangt. Im Aargauer Grossen Rat haben Cécile Frei und Dr. Peter Schuhmacher nachgedoppelt.