Facebook bringt Bundesrat ins Schwitzen

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UnterschriftensammlungenFacebook bringt Bundesrat ins Schwitzen

Nur wegen Facebook-Unterschriften ist das Referendum gegen die Personenfreizügigkeit zu Stande gekommen. Dieser Trend schreckt die Landesregierung auf: Sie prüft, die Hürden für Referenden und Initiative zu erhöhen.

Adrian Müller
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Adrian Müller

Facebook-Alarm im Bundesrat: Weil immer mehr Unterschriften für Initiativen und Referenden mit Hilfe von Facebook & Co. gesammelt werden, geraten die seit Jahrzehnten geltenden Unterschriftenzahlen (50 000 Referendum, 100 000 Initiative) unter Druck: «Die Bundeskanzlei beobachtet, dass Referenden immer schneller zu Stande kommen – auch wenn nur ein virtuelles Komitee dahinter steht», erklärt Bundesratssprecher Oswald Sigg gegenüber 20 Minuten Online. Der Bundesrat habe deshalb die Bundeskanzlei beauftragt, ein Papier zu den «politischen Rechten im Internetzeitalter» auszuarbeiten. Mögliche Diskussionspunkte seien unter anderem die Erhöhung der Anzahl Unterschriften oder eine Verkürzung der Sammelfristen, so Sigg.

Von der Webseite in die Fankurve

Auslöser der bundesrätlichen Bedenken sind jüngste Referendumserfolge wie beispielsweise das Referendum gegen die biometrischen Pässe: Aus dem Nichts sammelten laut Sigg «anonyme Gruppen» in Rekordzeit über 60 000 Unterschriften – ohne dass eine öffentliche Diskussion stattgefunden habe. Der Clou der Biometrie-Gegner: Via SMS, E-Mail und Social-Networks warben sie für ihre Webseite. Dort konnten Sympathisanten Unterschriftenbögen herunterladen und anschliessend unterschreiben. Diese stammten insbesondere aus Fussball- und Eishockeyfan-Kreisen, welche Unterschriftensammlungen in Fan-Foren organisierten. Die Urheber des Referendums blieben so im Dunkeln.

Anonymität gehört nicht zur Demokratie

Diese Entwicklung habe niemand vorausgesehen - und kratzt an Grundwerten der Schweizer Demokratie. Sigg sagt: «Anonymität ist in der ursprünglichen Anlage der direkten Demokratie nicht enthalten.» So sei es theoretisch sogar möglich, dass ein Ausländer ein Referendum lanciert - worüber die Schweizer Bürger abstimmen müssten, weiss Oswald Sigg.

Ohne Facebook keine Abstimmung über Personenfreizügigkeit

Doch nicht nur die biometrischen Pässe, sondern auch die Personenfreizügigkeit kommt nur dank dem Internet vors Volk: «Ohne Facebook hätten wir wohl nicht genügend Unterschriften zusammengebracht», gibt Lukas Reimann, SVP-Nationalrat und Mitinitiant des Referendums gegen die Personenfreizügigkeit, unumwunden zu. Es seien mehrere Tausend Download-Unterschriftenbogen eingereicht worden. «Über Facebook und unsere Webseite konnten wir zudem spontane Unterschriftensammlungen organisieren.» Daran beteiligten sich laut Reimann auch Personen, welche sich vorher nie politisch betätigt hatten.

Facebook als Unterschriftenmaschine - davon profitierten auch die Jungen Grünen bei der Sammlung für die Stopp-Offroader-Initiative: «Von den 130 000 Unterschriften stammten sicher 30 000 aus Download-Bögen», sagt Bastien Girod, Nationalrat der Grünen. «Ohne Web wäre es sehr knapp geworden», glaubt er im Hinblick auf die Messlatte von 100 000 Unterschriften. Doch Girod betont, dass schlussendlich das Thema an sich die Bevölkerung interessieren müsse – Internet hin oder her. Reimann bläst ins gleiche Horn: «Hinter jeder Unterschrift via Facebook steht ein Bürger»: Während auf der Strasse Passanten rasch unterschreiben würden, müsse der Internet-User den Bogen herunterladen, unterschreiben und selber einschicken. Internet-Unterschriften ohne E-Signatur bedeutet somit mehr Aufwand für die Unterzeichner, weniger für die Unterschriftensammler.

Facebook schiebt Gruppenwerbung den Riegel vor

Davon kann auch die Initiantin von «Byebyebillag», der ersten in einer Facebook-Gruppe gestarteten Volksinitiative, ein Lied singen: «Trotz Internet ist die Unterschriftensammlung nicht so einfach, wie wir es uns vorgestellt hatten», erklärt Francisca Brechbühler gegenüber 20 Minuten Online. Ein «Riesen-Problem» sei, dass bei Facebook ab einer Gruppengrösse von 5000 Mitgliedern keine Nachrichten mehr an die eigenen Schäfchen geschickt werden könnten. «Unsere 26 000 Gruppenmitglieder sind somit für uns nicht mehr erreichbar», beklagt sich Brechbühler. Dies habe zur Folge, dass schlussendlich auch die Facebook-Initiative nur via Strassensammlungen zu Stande kommen könne.

Auch im Facebook-Zeitalter signieren sich also Unterschriftenbögen nicht von selbst. Eine Erhöhung der Unterschriftenzahl, wie es die Bundeskanzlei prüft, ist deshalb nicht nur für Reimann und Girod der falsche Weg: «Dann können nur noch jene Kreise ein Referendum oder Initiative starten, welche über mehrere 100 000 Franken verfügen», sagt Christian Thommen, der das Referendum gegen die biometrischen Pässe unterstützt. Für ihn ist die vom Bundesrat kritisierte Anonymität kein Argument: «Ob die Initianten eines Referendums im Rampenlicht stehen oder anonym bleiben wollen, geht die Landesregierung nichts an», meint er.

Schweiz an der Facebook-Spitze

Die Facebook-Epidemie in der Schweiz breitet sich aus: Mittlerweile sind bereits über 1.1 Millionen Eidgenossen in der Social-Community aktiv. Davon sind laut Blogs mehr als eine halbe Million 25 jährig oder jünger. Über 4000 Personen sind sogar älter als 65.

Im Vergleich zu den Nachbarländern sind die Schweizer richtige Facebook-Fans: Österreich ist mit ca. 250'000 Nutzern eine Facebook-Entwicklungsland. In Deutschland bevorzugen viele User das Portal «studivz», auf Facebook tummeln sich gut eine Million Deutsche.

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