'NdranghetaFührende Mafiosi, die Sozialhilfe beziehen
Unauffällig und fast ärmlich: So lebt der Neffe von 'Ndrangheta-Pate Domenicio Oppedisano im Thurgau. Das sei typisch, sagt ein Mafia-Experte.

Mafia-Experte Jürgen Roth.
Der Neffe des Mafia-Paten lebt in einem Dorf, das zur Gemeinde Gachnang gehört, in einer kleinen Wohnung in einem heruntergekommenen Block.
Jürgen Roth*: Das ist durchaus charakteristisch für bestimmte Clans der 'Ndrangheta. Ihre Mitglieder in Deutschland oder der Schweiz wollen nicht auffallen. Selbst jene, die in der Hierarchie weit oben stehen, protzen nicht mit ihrem Reichtum. Das ist einerseits Tarnung. Andererseits gehört die Bescheidenheit zur Lebenskultur in ihrer kalabrischen Heimat.
Der Neffe ist laut Bekannten nicht erkennbar arbeitstätig, ein anderes Mitglied des Thurgauer Ablegers arbeitet als Maurer.
Man muss sich von der naiven Vorstellung verabschieden, dass alle Mafiosi einen Bentley fahren und sich von Bodyguards beschützen lassen. In Deutschland gibt es sogar führende Mafiosi, die Sozialhilfe beziehen. Die Mehrheit der Ableger verfügt auch nicht unbedingt über viel Geld.
Wo fliesst das Geld dann hin?
Die Rendite kommt in die Kasse des Clans in Kalabrien. In aller Regel besitzt die 'Ndrangheta dort Immobilien, prächtige Residenzen und Beteiligungen an Supermärkten. Der unvorstellbare Reichtum zeigt sich jedoch nicht auf den ersten Blick. So besitzen die Mafiosi etwa Häuser, in die man von aussen keinen Fuss setzen will. Innen haben sie Marmorböden, vergoldete Wasserhähne und Whirlpools.
Der Journalist Jürgen Roth (65) recherchiert seit 40 Jahren über kriminelle Organisationen. Sein jüngstes Buch: «Gangsterwirtschaft – wie uns die organisierte Kriminalität aufkauft».
Eine Gemeinde sucht Mafiosi
Seit 20 Minuten über den Thurgauer Ableger der Ndrangheta berichtet hat, steht die Gemeinde Gachnang kopf: Die Einwohner rätseln, wer das Haupt des Thurgauer Clans und wer der Neffe des verhafteten Mafia-Paten Domenico Oppedisano sei. Mehrere Namensvetter des Paten fühlen sich unter Generalverdacht. Derweil lebt der echte Neffe weiterhin unbehelligt: Laut einem Nachbarn wurde er weder von Reportern noch von der Polizei besucht, noch sei er untergetaucht.