SuizidSchweizer wollen aktive Sterbehilfe
Eine neue Studie der Universität Zürich zeigt: Die Schweizer wollen selbst über ihr Lebensende entscheiden. Sie befürworten gar mehr, als das Gesetz heute erlaubt.
Studie zeigt: Die Schweizer Bevölkerung will selbst über ihr Lebensende entscheiden. (Video: Keystone)
Ist es richtig, dass ein Arzt einer todkranken Frau eine tödliches Medikament spritzt? Ja, sagt die Mehrheit von rund 1500 für eine repräsentative Studie der Universität Zürich befragten Schweizern. Das Kriminologische Institut hat erstmals in der Schweiz im Mai 2010 eine repräsentative Stichprobe der Schweizer Bevölkerung zu konkreten Fällen von Sterbehilfe und Suizidbeihilfe befragt. Bei den Fragen ging es um sechs Fälle von Menschen, die an einer tödlichen Krankheit im Endstadium leiden. Die Teilnehmer mussten eine rechtliche und moralische Bewertung auf einer Skala von eins bis zehn vornehmen. Die Resultate der Studie stellte der Leiter Christian Schwarzenberger am Donnerstagmorgen den Medien vor.
Die Ergebnisse sind erstaunlich im Zusammenhang mit der möglichen Revision des Strafgesetzbuches, wie sie der Bundesrat vorgeschlagen hat: In der einen Variante sah die Regierung ein Verbot der organisierten Suizidbeihilfe (siehe Infobox) vor, in einer zweiten Variante eine restriktive Regelung der Suizidbeihilfe. Die Mehrheit der Schweizer befürworten laut Studie hingegen die Möglichkeit von Sterbehilfe und Suizidbeihilfe.
Eine Mehrheit würde sogar die heute verbotene «direkte aktive Sterbehilfe» erlauben, wie sie mit der Verabreichung einer tödlichen Spritze gegeben wäre. «Diese Einstellungen korrespondieren mit einer positiven Sicht auf das selbstbestimmte Sterben und einer schwach ausgeprägten Religiosität», wird Studienleiter Schwarzenegger in einer Mitteilung zitiert. Nur eine Minderheit der Schweizer Bevölkerung erachte «fast alle Formen von Sterbehilfe als moralisch falsch und befürwortet rechtliche Verbotslösungen». Teilweise gingen die Meinungen auseinander: So finden etwa die Suizidbeihilfe bei einem Alzheimerpatienten über 28 Prozent «völlig richtig», 22 Prozent hingegen bewerten sie als «völlig falsch».
Einigkeit der Angehörigen entscheidend
Am stärksten befürwortet wird laut der Untersuchung die Sterbehilfe, wenn sich alle Angehörigen einig sind, dass der Patient in seinem Zustand nicht weiterzuleben habe. «Sind sie sich nicht darüber einig, ist die Befürwortung am geringsten», schreibt die Universität Zürich. Die Bevölkerung sei der Meinung, dass Ärzte nicht eigenmächtig handeln dürfen.
Die Selbstbestimmung spielt eine zentrale Rolle, wie die Studie zeigt. So stimmen rund 35 Prozent der befragten Schweizer der Aussage «völlig zu», dass jeder erwachsene Mensch selber entscheiden dürfen soll, wann er sein Leben beenden soll. Auf einer Skala von 1 (Stimme absolut nicht zu) bis 10 (Stimme voll und ganz zu) erreicht diese Aussage einen Mittelwert von 6,43 und damit eine mehrheitliche Zustimmung. Laut der Studie haben deshalb vor allem ältere Personen vorgesorgt und in einer Patientenverfügung geregelt, wie es ihnen ergehen soll, wenn sie schwerkrank werden und nicht mehr selbst darüber entscheiden können. Während in der Altersgruppe zwischen 31 und 50 Jahren nur 10 Prozent eine Verfügung haben, sind es im Alter von 51 und 70 Jahren bereits 18 Prozent der Befragten. In der Altersgruppe über 70 Jahren verfügen 35 Prozent über eine Patientenverfügung.
Schweizer wollen keine Sterbehilfe durch Organisationen
Trotz der Befürwortung der Sterbehilfe durch die Mehrheit und der Ansicht, dass «Suizidhilfe-Organisationen ein würdevolles Sterben im Beisein der Angehörigen ermöglichen», könnten sich nur 36 Prozent der 1500 befragten Schweizer vorstellen, selbst auf eine solche Organisation zurückzugreifen. Für 41 Prozent kommt dies «auf keinen Fall» oder «eher nicht» in Frage. Die Mehrheit der Befragten (52,5 Prozent) würde es allerdings nicht stören, wenn eine Sterbehilfe-Organisation in ihrer Nachbarschaft tätig wäre. Gleichzeitig wollen 86 Prozent der Befragten, dass primär Ärzte oder speziell ausgebildetes Pflegepersonal bei der Selbsttötung mitwirkt, wie es in der Studie heisst. Nur 43 Prozent sind dagegen der Meinung, dass Suizidhilfe auch Mitarbeiter von Sterbehilfe-Organisationen durchführen sollten.
Die Suizidhilfe wird allerdings nur für schwerkranke Personen mehrheitlich befürwortet. Mehr Ablehnung zeigt sich laut der Studie für die Sterbehilfe für betagte Menschen ohne körperliche Leiden, «die aus Lebensmüdigkeit Suizid begehen wollen». Die Mehrheit der Befragten würde die Sterbehilfe für diese Menschen verbieten, genauso wie die Suizidbeihilfe für Menschen mit schweren psychischen Krankheiten nicht auf breite Zustimmung stösst, wie es heisst.
Schweizer gegen Sterbetourismus
Zwei Drittel der Schweizer Bevölkerung lehnen Sterbetourismus ab, wie aus der Studie des Kriminologischen Instituts der Uni Zürich weiter hervorgeht. Ein Drittel hingegen ist «eher» oder «voll» dafür, dass im Ausland wohnhafte Personen in die Schweiz kommen dürfen, um sich mit Hilfe einer Sterbehilfe-Organisation das Leben zu nehmen.
Sterbehilfe in der Nachbarschaft wird aber von einer knappen Mehrheit, nämlich 52,5 Prozent der Befragten, nicht abgelehnt.
Sterbetourismus hatte in den vergangenen Jahren immer wieder zu Kritik geführt. So ist im Kanton Zürich eine Initiative der EVP gegen Sterbetourismus hängig. Auch verlangt eine im Zürcher Kantonsrat überwiesene Motion, dass Sterbehilfeorganisationen die Kosten für die Abklärungen von Freitodbegleitungen von Personen aus dem Ausland selber bezahlen sollen.
Anlass für die Kritik war die jahrelange Odyssee der Sterbehilfeorganisation Dignitas. Sie begleitet jährlich rund 200 Menschen in den Tod, die meisten aus dem Ausland. Jahrelang suchte sie nach Räumlichkeiten für ihre Freitodbegleitungen.
Exit hofft nun auf Bundesrat
Exit fühlt sich in ihren Bemühungen durch die Studie der Universität Zürich bestätigt und hofft nun auf ein Umdenken. In einer Medienmitteilung vom Donnerstagmorgnen schreibt die Sterbehilfe-Organisation: «Die Ergebnisse sind dem Bundesrat hoffentlich ein ernster Hinweis dafür, dass er mit seinem Einschränkungsversuch der fachlich-kompetenten Freitodhilfe massiv am Souverän vorbeiregiert.» Exit findet weiter, dass die Umfrage aufräumt mit den Befürchtungen der Sterbehilfe aufräumt. «Das «Dammbruch»-Argument findet kaum Zustimmung.» Die Studie sei insgesamt eine Bestätigung für die jahrzehntelangen Bemühungen.
Begriffe und Erklärungen:
passive Sterbehilfe bezeichnet und ist rechtmässig, wenn der Betroffene ausdrücklich auf diese Behandlung verzichtet oder dies in einer Patientenverfügung so regelt.
Suizidbeihilfe spricht man, wenn eine Person einen Sterbewilligen bei der Selbsttötung unterstützt. Voraussetzung dafür ist, dass sich der Sterbewillige der Tragweite seiner Handlung bewusst sein und die tödliche Handlung selbst ausführen muss. Sterbehilfe-Organisationen leisten Suizidbeihilfe bei Menschen mit hoffnungsloser Krankheitsprognose, unerträglichen Beschwerden oder unzumutbarer Behinderung. Die Suizidbeihilfe ist nur dann verboten, wenn sie aus selbstsüchtigen Beweggründen heraus erfolgt.