Ein Junge, zwei «Weiber» und 47 Faustkämpferinnen

Aktualisiert

Ein Junge, zwei «Weiber» und 47 Faustkämpferinnen

Muhamed (16) hatte zwei Freundinnen gleichzeitig. «Ist doch normal», findet er. Seine «Weiber» fanden das nicht und organisierten eine Massenprügelei. Aber wer ist der Junge, der 47 Mädchen zu Faustkämpferinnen machte? - Ein Gesprächsversuch.

«Wieso hätte ich etwas sagen sollen?» Muhamed schaut auf den Boden, dann spuckt er. «Yeah, Mann, wieso hätte er etwas sagen sollen? Das ist doch normal?», bestätigt ihn ein Kollege. Dann grölen sie. Hätte Muhamed etwas gesagt, die Geschichte wäre anders verlaufen und die zehn Jungs mit dem ersten Flaum auf der Oberlippe sässen jetzt nicht in Arbon am Bodensee zum Interview und Fototermin, und auch die Medienvertreter aus Deutschland würden sich nicht bei Muhamed melden. Wieso also hätte er etwas sagen sollen?

Denn Muhamed, 16 Jahre alt, steht jetzt im Mittelpunkt des Interesses. 47 Mädchen verabredeten sich am Samstag in St. Gallen zur grossen Abrechnung. Sie schlugen sich in der Nähe des Bahnhofs ins Gesicht, zogen einander an den Haaren und traten sich in die Köpfe, bis die Polizei kam. Der Grund? Muhamed. Der Junge war mit «beiden Weibern» zusammen, die sich zur grossen Mädchen-Prügelei verabredeten - gleichzeitig mit beiden Girls zusammen.

«Ficken und wegschicken»

Die «beiden Weiber» gehen Muhamed «längst am Arsch vorbei». Dass ihm die Geschichte irgendwie unangenehm ist, bestätigt sich trotzdem noch. «Er ist eigentlich ein ruhiger Typ», sagt ein Kollege. «Er konnte ja nicht wissen, dass es eskaliert.» Und Muhamed sagt: «Ich kann schlecht Nein sagen, vor allem wenn es ums Ficken geht.» «Yeah Mann», sagt ein Kollege. «Freundinnen sind zum Ficken und zum Wegschicken.» Die Runde grölt, klatscht ab. Auf der Parkbank gleich hinter den Jungs sitzt ein älterer Herr und verfolgt die Szene. Er schmunzelt still vor sich hin und schüttelt den Kopf.

Die Jungs merken nichts davon. Sie leben in ihrer eigenen Welt, die plötzlich grösser wird, als Muhameds Natel klingelt. «Hallo? – Was, RTL? – Hey Jungs, RTL?» «Hey voll krass. Jetzt machen wir Arbon voll berühmt, Mann. Arbon ist voll krass. Frag, wie viel sie bezahlen. Verlange eine Million.» «Hey nein Mann, das zahlen die doch nicht. Sag ein paar tausend.»

«Das war krass»

Muhamed und seine neun Jungs verbringen seit Jahren die Zeit miteinander. Sie haben nicht nur ihre eigene Welt, sondern auch ihre eigene Clique, die «ARBON 51» («Das muesch uufschriibe Mann»). 51 steht für die Anzahl Mitglieder. «Die Clique ist wie eine Familie», sagt Muhamed. Auch deshalb ist klar, dass man ihn nicht alleine treffen kann. «Und am Telefon gebe ich keine Auskunft. Unsere Handys werden von den Bullen abgehört.» Der alte Mann auf der Bank lacht. Die Jungs fahren weiter. «Wir haben schon jede andere Stadt verprügelt», sagen sie und packen ihre Narben aus. «Hier, das war ein Messer», zeigt einer stolz den kleinen Schnitt am Finger. «Aber schau bei ihm, voll krass den ganzen Ellbogen. Das war krass. Aber wir sagen jetzt nicht, wie der andere nachher ausgesehen hat.»

Automechaniker oder Zuhälter

Die meisten der Clique gehen noch zur Schule, Realklasse, im Sommer ist Schluss. Eine Lehrstelle hat erst einer der Anwesenden. «Wir haben schon Ziele, aber keine Chance. Die nehmen uns nicht. Nur wegen unserem Namen.» Auch Muhamed weiss nicht, wie es weitergeht. Was er sich denn vorstellen könne? «Automechaniker, Logistikassistent oder Zuhälter.» Wieder grölt die Runde. «Nein, der schreibts voll auf: Zuhälter.» Schuld, dass es bei den meisten nicht klappt mit einer Lehrstelle, hätten aber auch die Lehrer. Ihre Noten seien gut, versichern sie. Und einer berichtet, er hätte eine Schnupperlehre machen können. «Sie müssten nur noch den Lehrer anrufen, sagten sie.» Am nächsten Tag habe er eine Absage gekriegt. «Die Lehrer figgen uns immer an. Sie sind frech zu uns», erzählen sie. Dann zeigen sie ein Handyfilmchen. Darauf sieht man die Jungs auf dem Schulareal am Rauchen, die Lehrer im Anmarsch. Dann rennen sie weg.

«Chindergarte»

Muhamed, der Junge mit dem Millimeterschnitt und den Jeans in den Socken, ist in dieser Runde nicht der Junge der lauten Töne. Er lacht mit. Er klatscht ab. Und er spuckt im Minutentakt auf den Boden. Warum sich gerade wegen ihm 47 Frauen zur Prügelei verabredeten, weiss keiner. Auch Muhamed nicht, aber es ist ihm auch egal, irgendwie. «Isch scho geil, berüehmt werde und so. Aber Fraue, wo sich prügle, das isch Chindergarte.»

Nach einer knappen Stunde mit «ARBON 51» bleibt die Person Muhamed unfassbar. Im Zug Richtung Zürich unterhält sich eine Mädchen-Clique. Es geht um Mädchen-Schlägereien – und Muhamed. «So peinlich die Fotos im 20minuten.» - «Ich hab ihn vorher gesehen und er hat mir grad erzählt, dass schon wieder ein Journalist bei ihm war und dass sein Bild in der Zeitung kommt» - «Ist doch gut. Ich hab ihm gesagt, er sei hässlich. Vielleicht schnallen es jetzt auch die 47 andern.»

Marius Egger

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