Organisation «Nakam»«Wir haben die Nazis getötet, wie man eine Laus zerquetscht»
In Quentin Tarantinos Thriller «Inglourious Basterds» jagen jüdische Kommandos Nazis, um sie zu exekutieren. Die Story ist Fiktion – doch es gibt einen wahren Kern. Zum Beispiel die Gruppe «Nakam».
Wenn Hollywood ein historisches Thema durch den Fleischwolf seiner Kameras dreht, bekommen seriöse Wissenschaftler in der Regel eine Magenverstimmung. Das dürfte bei Quentin Tarantinos neuem Blockbuster «Inglourious Basterds» nicht anders sein – die blutrünstige Story von jüdischen Elitesoldaten, die 1944 hinter den deutschen Linien Nazis meucheln, entbehrt jeder realen Grundlage.
Doch das stimmt so nicht ganz. Tatsächlich gab es jüdische Kommandos, die für den millionenfachen Mord in den Menschenvernichtungsfabriken des Dritten Reiches Rache nehmen wollten; ein brisantes, bisher kaum erforschtes Kapitel der Nachkriegsgeschichte. Wenn es um jüdische Aktionen gegen ehemalige Nazis geht, denkt man denn auch eher an die spektakuläre Entführung von Adolf Eichmann durch ein Kommando des israelischen Geheimdienstes Mossad im Jahr 1960.
Die jüdischen Kommandos agierten freilich nicht 1944 in Frankreich wie Tarantinos Rächer, sondern vornehmlich nach Kriegsende in Deutschland, Österreich und Italien. Und sie entführten die Nazis nicht, um sie vor Gericht zu stellen wie im Fall von Eichmann, sondern verhängten und vollstreckten das Urteil selber. Dabei gab es mehrere Aktionen, die von verschiedenen Gruppen durchgeführt wurden und von der Hinrichtung einzelner Nazis bis zur versuchten Ausrottung von ganzen deutschen Stadtvierteln gingen.
Jüdische Brigade
Am 3. Juli 1944 bewilligte die britische Regierung die Aufstellung einer Jüdischen Brigade, die im September als Teil der 8. Armee gebildet wurde. Unter den 5000 Freiwilligen aus Palästina befanden sich auch einige Mitglieder der so genannten «Deutschen Abteilung» der Hagana, der jüdischen Untergrundarmee in Palästina. Diese 35 Mann starke Spezialtruppe aus «arisch» aussehenden, deutsch sprechenden Elitesoldaten war 1942 geschaffen worden, als sich Rommels Afrikakorps in Nordafrika auf dem Vormarsch befand. Zum Einsatz kamen die Männer aber, wie die gesamte Jüdische Brigade, erst gegen Ende des Krieges, in Italien.
Der deutsche Journalist John A. Kantara sprach 1997 mit drei Überlebenden der «Deutschen Abteilung»: Chaim Miller, Dov Shenkal und Schmuel «Olie» Givon. Sie waren nach Kriegsende mit der Jüdischen Brigade im norditalienischen Tarvisio stationiert. «Wir wollten keine blindwütige Rache», sagte Miller, damals 76, dem Journalisten. «Wir wollten die Schuldigen.»
Rachetrupps, rekrutiert von Chaim Laskov, dem späteren Generalstabschef der israelischen Armee, und Meir Zorea, später ebenfalls General der Tzahal, gingen nun gegen Nazis vor. Denen erging es wie jenen zwei SS-Offizieren, die von Givon in einer österreichischen Berghütte aufgespürt wurden: «Ich habe ihnen gleich das Hemd heruntergerissen. Unter der Achsel trugen sie das tätowierte Zeichen der SS.» Die beiden wurden verhört, danach brachte Givon sie um: «Ich habe sie dann zu einem Gletscher gebracht und in eine vielleicht achtzig Meter tiefe Spalte gestossen.» In den ersten sechs Monaten nach dem Krieg sollen schätzungsweise gegen hundert Nazis exekutiert worden sein.
Andere Zahlen nennt der britische Autor Morris Beckman in seinem Buch «The Jewish Brigade». Er behauptet, die Racheaktionen seien bis 1960 weitergegangen. Und die «Din» (hebräisch für «Urteil») genannten Rachetrupps, Zellen von jeweils vier Mann, hätten in diesem Zeitraum mehr als 1500 hochrangige Nazis umgebracht. Beckman zitiert Zorea: «Erst schossen wir ihnen eine Kugel in den Kopf. Dann erwürgten wir sie mit unseren blossen Händen. Wir haben sie getötet, wie man eine Laus zerquetscht.»
Organisation «Nakam»
Bedeutend radikaler als die Mitglieder der Jüdischen Brigade war Abba Kovner, der die Organisation «Nakam» (hebräisch für «Rache) führte. Der Dichter und Partisanenführer hatte während des Krieges in der Umgebung von Wilna gegen die Deutschen gekämpft. Damals hatte er die berühmte Losung geprägt: «Lasst uns nicht wie Schafe zur Schlachtbank gehen!» Kovner war davon überzeugt, dass die Rache an den Nazis dieselbe Dimension haben müsse wie der Massenmord an den Juden. Das geeignete Mittel dazu sah er in der Vergiftung des Trinkwassers in deutschen Städten – als wollte er das üble antisemitische Klischee vom Brunnenvergifter bestätigen.
Plan A («Tochnit Alef») sah Hamburg und Nürnberg als Ziele vor, Plan B Angriffe auf SS-Internierungslager. Kovner reiste nach Palästina, um Gift zu besorgen, wurde aber bei der Rückreise verhaftet. Die Hagana hatte ihn auffliegen lassen, um die Staatsgründung Israels nicht durch die Konsequenzen eines solchen Massenmords von jüdischer Hand zu gefährden.
Plan B aber gelangte – auch ohne Kovner – zur Ausführung. Im SS-Internierungslager Langwasser bei Nürnberg gelang es «Nakam»-Mitgliedern im April 1946, etwa 3000 Brote mit Arsen zu vergiften. 1900 (nach anderen Angaben 2200) Lagerinsassen erkrankten, 38 davon schwer. Die Dosis war allerdings zu schwach, um die Internierten zu töten.
Literatur
Jim G. Tobias, Peter Zinke:
«Nakam - Jüdische Rache an NS-Tätern»
Konkret Literaturverlag 2000
ISBN: 3894581948
Morris Beckman
«The Jewish Brigade: An Army with Two Masters, 1944 - 1945»
Sarpedon Publishers
Rockville Centre 1999
ISBN 1-885119-56-9