Halbes Hirn, normales Kind

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HirnforschungHalbes Hirn, normales Kind

Das zehnjährige deutsche Mädchen ist ein medizinisches Rätsel: Es hat nur eine Hirnhälfte – und ist ansonsten völlig normal.

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Das Kind besucht eine normale Schule und fährt Fahrrad und Inline-Skates. Es gilt als witzig und intelligent. Doch hinter all der Normalität verbirgt sich ein medizinisches Wunder: Das Mädchen lebt mit nur einer Hirnhälfte. Dies stellte sich erst heraus, als es im Alter von drei Jahren zum Arzt gebracht wurde, weil es manchmal unter leichten Zuckungen litt. Bei der Untersuchung im Kernspintomographen fand man in der rechten Kopfhälfte nichts ausser Nervenwasser.

Vor allem ist unklar, wie das Resthirn es schafft, dass die Zehnjährige beinahe so gut sehen kann wie ihre Klassenkameraden, die über ein vollständiges Gehirn verfügen. Denn normalerweise sind menschliche Hirne arbeitsteilig organisiert: Signale, die von der linken Seite des Körpers stammen, werden in der rechten Hirnhälfte verarbeitet – die bei dem Mädchen gar nicht vorhanden ist.

Die erstaunliche Leistungsfähigkeit dieser einsamen linken Hirnhälfte hat die Wissenschaft auf den Plan gerufen:

Das Max-Planck-Institut für Hirnforschung in Frankfurt am Main hat das halbe Hirn unter die Lupe genommen. Die Hirnforscher um Teamleiter Wolf Singer haben festgestellt, dass sich das Hirn auf erstaunliche Weise umorganisiert hat, wie sie in der Fachzeitschrift «Proceedings of the National Academy of Sciences of the USA» schreiben. «Auf diese Weise gelangen Informationen in eine Hirnhälfte, die da gar nicht hingehören», so Singer. «Das ist ein sensationeller Befund.» Damit zeigt sich, wie unglaublich flexibel das menschliche Gehirn ist.

Die Perfektion allerdings, mit der das halbierte Hirn bei dem zehnjährigen Mädchen die fehlende Hälfte kompensiert, ist selten. Wahrscheinlich liegt das daran, dass die rechte Hirnhälfte ihr Wachstum schon sehr früh eingestellt habe; wohl bereits im Mutterleib. Singer geht davon aus, dass dies bereits vier Wochen nach der Befruchtung geschah.

Zwar kennt man auch andere Fälle, in denen es Gehirnen gelingt, sich auf eine Schädigung einzustellen und umzuorganisieren, beispielsweise nach Schlaganfällen. Wohl nur, weil das Resthirn des Mädchens sich so ungewöhnlich früh auf die Herausforderung einstellen konnte, gelang ihm die Umstellung so perfekt.

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