KolonialgeschichteDas vergessene Massaker
Am 9. Dezember 1947 erschossen niederländische Soldaten hunderte von Dorfbewohnern im javanischen Dorf Rawagedeh. 62 Jahre später haben die Angehörigen den niederländischen Staat angeklagt.
Die Soldaten des «KNIL» (Koninklijk Nederlandsch-Indisch Leger) unter dem Kommando von Major Wynen kannten kein Erbarmen. Sie erschossen Hunderte von männlichen Bewohnern des Dorfs Rawagedeh auf der indonesischen Hauptinsel Java. Gefangene wurden nicht gemacht, auf flüchtende Menschen wurde geschossen.
«Absichtsvoll und erbarmungslos»
Im Januar 1948 nannte ein Rapport der Vereinten Nationen das Vorgehen der Niederländer «absichtsvoll und erbarmungslos». Doch weder die einfachen Soldaten noch die Offiziere wurden jemals für das Massaker bestraft. Der Vorfall geriet allmählich in Vergessenheit, als der Unabhängigkeitskrieg (siehe Infobox) endete und Indonesien im Dezember 1949 unabhängig wurde.
Jetzt will eine Gruppe von Angehörigen der Opfer von damals die niederländische Regierung dazu zwingen, die Unrechtmässigkeit dieser militärischen Aktion anzuerkennen und eine finanzielle Wiedergutmachung zu leisten, wie ihre Anwältin Liesbeth Zegveld am Dienstag laut der niederländischen Zeitung «De Telegraaf» sagte.
Nie strafrechtlich verfolgt
Die Witwen der damals exekutierten Männer verlangen vom niederländischen Staat nicht nur Gerechtigkeit für das Blutbad, sondern auch für die Tatsache, dass es nie strafrechtlich untersucht wurde. «Der Armeeoffizier, unter dessen Kommando das Blutbad angerichtet wurde, Major Wynen, ist nach einer Absprache zwischen dem damaligen Heereskommandanten und dem Generalstaatsanwalt aus Gründen der Opportunität nicht angeklagt worden», erklärte Anwältin Zegveld. Wohl habe die niederländische Regierung mehrmals ihr Bedauern über den Vorfall ausgedrückt, es jedoch immer abgelehnt, Verantwortung dafür zu übernehmen, monierte die Anwältin.
Die niederländischen Behörden führen als wichtigstes Argument jeweils an, dass die Tat längst verjährt sei. Dies widerspricht freilich der Tatsache, dass vergleichbare Verbrechen aus dem Zweiten Weltkrieg nach wie vor juristisch verfolgt werden. Die Angehörigen der Opfer von Rawagedeh verlangen deshalb, dass ihr Anliegen nicht anders behandelt wird als die Forderungen von Opfern aus dem Zweiten Weltkrieg.
Es dürfte den Behörden in Den Haag wohl nicht allzu schwer fallen, diese juristische Attacke abzuwehren. Im Jahre 2005 haben sich die Niederlande und Indonesien darauf geeinigt, einen Schlussstrich unter die Angelegenheit zu ziehen und sämtliche Wiedergutmachungsforderungen abzulehnen.
Kolonialkrieg als «Polizeiaktion»
Im Zweiten Weltkrieg hatten japanische Truppen die ausgedehnte niederländische Kolonie Nederlandsch-Indië (Niederländisch-Indien) besetzt und die Kolonialherren vertrieben oder interniert. Nach der Kapitulation der Japaner am 15. August 1945 plante die niederländische Kolonialverwaltung ihre Rückkehr, als ob nichts geschehen wäre. Doch inzwischen hatten die indonesischen Nationalisten unter Sukarno und Hatta die Republik ausgerufen. Es kam zum Krieg, der von niederländischer Seite mit dem euphemistischen Begriff «Politionele acties» («Polizeiaktionen») bezeichnet wurde. Die Europäer waren den indonesischen Guerillatruppen zahlenmässig weit unterlegen, in puncto Ausbildung und Ausrüstung aber klar überlegen.
Die Niederlande verloren den Kampf um ihre vormalige Kolonie hauptsächlich am grünen Tisch. Im Gegensatz zu den im UNO-Sicherheitsrat vertretenen Franzosen konnten sie kaum auf amerikanische Unterstützung zählen. Zudem waren ihre Gegner keine Kommunisten, sondern Nationalisten. Das harte Vorgehen gegen die indonesische Republik kostete die Niederländer nahezu sämtliche Sympathien. Am Ende war der Druck so gross, dass nur der Rückzug blieb. Am 27. Dezember 1949 wurde Indonesien unabhängig.