Hodenbaden - Eine Retrospektive

Aktualisiert

Hodenbaden - Eine Retrospektive

Am Samstag war Weltmännertag - und keiner ging hin. Trotzdem höchste Zeit, dem Manne ein Kränzlein für seinen Kampf gegen das Patriarchat und ungewollte Schwangerschaften zu winden. Zeit für einen Besuch bei den ehemaligen Aktivisten der Hodenbader-Gruppe-Zürich.

Die Begriffe «System» und «Bewegung» fallen oft, wenn man dem Zürcher Altlinken Beat Schegg gegenübersitzt. «Weisst du, wir waren Macher. Nicht nur politische Theoretiker», sagt Schegg. Und Schegg hat gemacht. Er war Gründungsmitglied und mittreibende Kraft eines mit der Zeit und der Überlieferung mystifizierten Männerclubs. Eines Männerclubs, von dem ergraute 80er-Jahre-Revoluzzer auf Turbinenbräu-Generalversammlungen jüngeren Anwesenden erzählen: «Weisch, früehner, da häts d' Hodebadergruppe gäh. Die sind dänn im Kanzlei-Zentrum im Chreis ghocket, händ ihri Hode badet und d'Abschaffig vom Patriarchat planed», geht die Erzählung. Auch Endo Anaconda will mitgetünkelt haben, wie er in einer Kolumne prahlt («Um dafür zu büssen, um das Patriarchat und die Empfängnis zu bekämpfen. Ich litt darunter, ein Mann zu sein»).

Eine ernsthafte Sache

Die Hodenbadergruppe mutet im Nachhinein lächerlich an. Schegg weiss es: «So einen Comic-Artikel mach ich dann nicht mit.» Die Hodenbadergruppe sei eine sehr ernsthafte Sache gewesen. Mit Vorlesungen an der Volksuni und eigener Zeitung. «Wir haben uns überlegt, was wir konkret zur Gleichstellung von Mann und Frau beitragen können. Politische Diskussionsgruppen und auch der Druck der Freundinnen haben uns zur Machbarkeitsstudie des Badens geführt», erklärt der Hodenbader der ersten Stunde, der im Schlepptau der 80er-Bewegung im Jahr 1984 mit elf Freunden aus der linksautonomen Szene die Gruppe initiiert hat.

Schmerzhafte Praxis

Die Umsetzung antisexistischer Theorie – «Verhütung ist nicht nur Frauensache!» - in die Tat hat mitunter wehgetan. Die Hodenbader experimentierten mit Tauchsiedern in eigens angefertigten Hodenbad-Stühlen. «Extrem heikel, die Temperatur genau auf 45 Grad hinzukriegen, die Haut an Penis und Oberschenkeln musste man schützen, die wäre sonst verbrannt», sagt Schegg. Das gerne beschriebene Bild der testikeldünkelnden, diskutierenden Zwölferrunde ist falsch. «Wir haben das zu Hause gemacht. Jeder für sich. Zweimal nur haben wir zu zweit gebadet. Das Rumschleppen des Stuhls war zu mühsam, ausserdem nahm das Hodenbaden jeden Abend eineinhalb Stunden in Anspruch», sagt Schegg.

Ziel: Unfruchtbarkeit

Ein Teil der Hodenbadergruppe ist denn auch vor dem Schritt von der Theorie zur Praxis abgesprungen. Wasser auf die richtige Temperatur erwärmen, Hoden beschweren, damit er nicht obenauf schwimmt, Spezialunterhose montieren, Wasser nachtemperieren. Während dreier Wochen jeden Abend die gleiche Prozedur. Das war nicht jedermanns Sache. Aber es hat gewirkt. Zwar war die totale Gleichstellung von Frau und Mann nicht ganz erreicht, wohl aber die temporäre Unfruchtbarkeit.

Das Labor

Die Hodenbader überprüften in ihrem eigens eingerichteten «Männerverhütungs-Labor» in einem WC-Raum der Kanzlei unter dem Mikroskop regelmässig die Anzahl ihrer Spermien. Normal sind zwischen 80 und 120 Millionen pro Milliliter Samenflüssigkeit. Nach drei Wochen Hodenbaden sinkt die Spermien-Zahl gegen Null. Und bleibt da für gegen sechs Wochen. Schegg ist Profi. Immer noch. Er macht es zwar nicht mehr, das Hodenbaden, aber er weiss noch immer genau Bescheid, wies geht. «Bevor wir angefangen haben, liessen wir unsere Fertilität im Unispital testen. Die haben sich aber um den Faktor 10 verrechnet. Das haben wir dann erst nachher gemerkt», sagt Schegg. Die Hodenbadergruppe verfügte über einen Stromer und einen Laboranten. Der eine war zuständig für die korrekte Installation der Tauchsieder, der andere lehrte alle in der Gruppe die korrekte Durchführung der Sperma-Analysen.

Witze auf Radio LoRa

Eine Weile ist alles gut gegangen bei der Hodenbadergruppe, das alternative Radio LoRa hat sich in der Morgensendung «totgeschallt» über die Hodenbader, wie Schegg es ausdrückt. Die einen warfen ihnen vor, nun «auch noch die Verhütung an sich reissen zu wollen», die anderen lachten sich die Bäuche rund. Die meisten aber hätten es laut Schegg "spannend" gefunden. Am wöchentlichen Tag der offenen Tür im «Männerverhütungs-Labor» führte man Interessierte in die Methode ein.

Die Sache mit Endo

Ende der 80er-Jahre hatten die Hoden dann ausgebadet. Die HIV/AIDS-Diskussion war in vollem Gange, das zeitraubende Hodenbaden verlor an Legitimation. «Der Mehrwert ist nicht mehr sehr gross, wenn man sicherheitshalber sowieso einen Gummi überziehen muss», sagt Schegg. Seither geht die Rede von der Hodenbadergruppe und immer wieder mal erzählt einer von den Jungs, die im Kreis hodengebadet und die Abschaffung des Patriarchats geplant haben. Das meiste davon ist frei erfunden. Nur eins ist sicher: Endo Anaconda ist ein Aufschneider. Er war nie in der Hodenbadergruppe. Schegg wüsste davon.

Maurice Thiriet, 20minuten.ch

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