So lief der Megaraub von Zürich ab
Mit Waffengewalt haben drei maskierte Täter am helllichten Tag vier Meisterwerke im Wert von über 180 Millionen Franken aus der Bührle-Sammlung in Zürich geraubt. Die dreisten Täter brauchten nur Minuten für einen der grössten Kunstdiebstähle aller Zeiten.
Am Sonntagnachmittag seien kurz vor 16.30 Uhr drei maskierte Männer in das Gebäude eingedrungen, teilte die Stadtpolizei Zürich mit. Einer der Männer habe die Personen im Eingangsbereich mit einer Faustfeuerwaffe bedroht und sie gezwungen, sich auf den Boden zu legen. Die zwei anderen Täter hätten aus dem Ausstellungssaal im Erdgeschoss vier wertvolle Gemälde gestohlen. Anschliessend seien sie aus dem Gebäude geflüchtet.
Laut ersten Erkenntnissen der Stadtpolizei Zürich luden die Täter das Deliktsgut unmittelbar vor dem Museum in ein weisses Fahrzeug und fuhren in Richtung Zollikon davon. Die drei Täter von normaler Statur (ca. 175 cm gross) trugen dunkle Kleider und waren mit dunklen Sturmhauben mit Sehschlitzen maskiert. Einer von ihnen sprach Deutsch mit slawischem Akzent. Für Hinweise, die zur Wiederbeschaffung der geraubten Gemälde führen, wurde eine Belohnung von 100 000 Franken ausgesetzt. Die Summe wurde von der Stiftung der Bührle-Sammlung als Belohnung ausgesetzt, wie Polizeisprecher Marco Cortesi an der Medienkonferenz sagte.
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(Videos: Maurice Thiriet/20minuten.ch)
«Zentrale Bilder der Sammlung»
Bei den vier gestohlenen Gemälden handelt es sich um «Der Knabe mit der roten Weste» von Paul Cézanne, «Blühende Kastanienzweige» von Vincent van Gogh, «Mohnfeld bei Vetheuil» von Claude Monet und «Ludovic Lepic und seine Töchter» von Edgar Degas. Es sind dies «zentrale Bilder» der Sammlung, wie der Direktor der Bührle-Sammlung, Lukas Gloor, sagte. Das Bild «Der Knabe mit der roten Weste» beispielsweise sei eines der bekanntesten Bilder von Paul Cézanne.
Laut Gloor erfolgte der Raub der vier gestohlenen Bilder nach der vorgegebenen Austellungs-Reihenfolge. Im grossen Saal hätten sich noch wertvollere Gemälde befunden. Gloor betonte, dass die vier Gemälde auf dem offenen Markt nicht zu verkaufen seien.
Mitarbeiter unter Schock
Wie Cortesi weiter ausführte, befanden sich zur Zeit des Überfalls rund 15 Besucher im Gebäude. Sie befanden sich jedoch im oberen Stock. Dieser wurde umgehend verriegelt. Die zur Tatzeit anwesenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stehen zum Teil unter schwerem Schock. Die Stadtpolizei Zürich bietet ihnen psychologische Betreuung an.
Die Spurensicherung sei vor Ort, führte Chefermittler Peter Rüegger aus. Die Fahndung konzentriere sich derzeit vor allem auf das weisse Auto, vermutlich älterer Bauart, welches sich zur Tatzeit in der Umgebung befand. Bei der Flucht könnten die geraubten Bilder möglicherweise teilweise aus dem Kofferraum geragt haben. «Die Ausgangslage ist schwierig», musste Rüegger allerdings gestehen.
Cortesi sprach von einem fast einmaligen, spektakulären Raub. Bisher sei einzig der Raub des Bildes «Der Schrei» von Edvard Munch in Oslo im August 2004 mit Waffengewalt durchgeführt worden, meinte Cortesi. Die Stadtpolizei Zürich geht deshalb davon aus, dass es sich um den grössten Kunstraub Europas handelt. Eine Statistik werde jedoch nicht geführt. Ob es sich um einen Auftragsraub handelt, kann die Stadtpolizei nicht mit Sicherheit sagen.
Die Sicherheitsstandards der Bührle-Stiftung entsprechen aber den heutigen Standards, sagte Cortesi weiter. Die Verantwortlichen hätten nicht mit einem derartigen Verbrechen rechnen können. Der Alarm wurde beim Berühren der Bilder ausgelöst. Die Polizei war innerhalb kurzer Zeit vor Ort.
Überfall dauerte 3 Minuten
Der eigentliche Überfall dauerte nur drei Minuten. Die Räuber fuhren anschliessend innerhalb von 30 Sekunden mit dem Auto davon.
Froh zeigten sich die Verantwortlichen an der Medienkonferenz darüber, dass der Kunstraub keine Verletzten forderte.
Die Bührle-Sammlung bleibt bis auf Weiteres für die Öffentlichkeit geschlossen. Die Sammlung wird nur auf Voranmeldung für Sonderführungen geöffnet, sagte Direktor Gloor.
Nach dem Überfall rückte die Stadtpolizei mit einem Grossaufgebot aus. «Meine Schwester dachte erst, es hätten sich Mord und Totschlag zugetragen. So viel Polizisten und Streifenwagen standen vor dem Haus», sagte eine Nachbarin gegenüber 20minuten.ch.
Zweiter Kunstraub innert Tagen
Der bewaffnete Raub in Zürich ereignete sich nur wenige Tage nach dem Diebstahl vom Mittwoch von zwei Picasso-Bildern aus dem Seedamm-Kulturzentrum in Pfäffikon SZ mit einem Gesamtwert von 4,8 Mio. Franken. Ob zwischen den beiden Taten ein Zusammenhang bestehen könnte, konnte die Schwyzer Kantonspolizei am Montag nicht sagen. Die beiden Polizeikorps stehen in engem Kontakt. Die beiden Überfälle seien allerdings in ihrer Durchführung nicht miteinander zu vergleichen, sagte Cortesi.
Die bedeutende Kunstsammlung wurde im 20. Jahrhundert durch den in Zürich lebenden Industriellen Emil Georg Bührle (1890-1956) zusammengetragen. Sie gilt als eine der wichtigsten privaten Sammlungen europäischer Malerei. In ihrem Mittelpunkt steht die Malerei des französischen Impressionismus und Nachimpressionismus. Rund 200 Bilder der Sammlung wurden von der Familie des ehemaligen Patrons der Firma Oerlikon-Bührle (danach Unaxis, heute OC Oerlikon) 1960 in eine Stiftung eingebracht und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Das Museum befindet sich in einer Villa aus dem Jahr 1886 an der Zollikerstrasse im Zürcher Kreis 8.
Couchepin bedauert Kunstdiebstahl
Bundespräsident Pascal Couchepin hat Bedauern über den Kunstraub in Zürich geäussert. Er bedaure es, wenn solche Ereignisse geschehen würden, sagte der Kulturminister am Rande seines Deutschland-Besuchs am Montag der «Tagesschau» des Schweizer Fernsehens. Er hoffe, dass die Polizei rasch herausfinde, wer dies getan habe und wie so etwas möglich sei. Er vertraue ganz auf die Polizei. Auf die Frage, ob die Kunstmuseen besser bewacht werden müssten, antwortete er: Wahrscheinlich schon, wenn so etwas geschehe.
thi/meg/mbu/SDA/AP