Überwachung«Schweiz hört alle Auslandsgespräche ab»
Wenn die USA die ganze Welt belauschen, wie sicher ist dann die Kommunikation in der Schweiz? 20 Minuten traf einen Experten, der sagt: Big Brother schaut und hört schon lange zu.
Edward Snowdens Enthüllungen lösen Empörung aus. Wir haben einen Fachmann nach seiner Einschätzung der Lage in der Schweiz befragt. Er hat in den USA gelebt und für Zuliefer-Firmen der US-Armee gearbeitet. Weil er heute für die IT-Sicherheit einer grossen Schweizer Bank verantwortlich ist, möchte er anonym bleiben
Werden hierzulande Telefone abgehört?
Ja, auch die Schweiz hört alle Auslandsgespräche ab. Man darf sich das aber nicht so vorstellen, dass ein Mensch in einem Raum sitzt und lauscht wie bei «Das Leben der Anderen». Das läuft vollautomatisch: Programme reagieren auf Codewörter oder Personen, die bestimmte Kriterien erfüllen.
Woher kommt die Technik?
In den 90ern gab es ein US-Forschungsprogramm, das später im «Information Awareness Office» mündete. Nachdem einige Bürgerrechtsbewegungen protestiert hatten, hat der Senat das Programm angeblich eingestellt, doch es ging weiter. Die Idee dahinter ist nicht nur, Telefongespräche, Mails oder Standorte zu prüfen, sondern auch Personenerkennung und die Erstellung von Profilen
Was für Profile sind das?
Wenn Sie etwa Ferien in einem islamischen Land buchen, bekommen Sie Punkte. Je mehr Punkte, desto auffälliger sind sie. Automatisierte Übersetzungsprogramme greifen auch Informationen aus anderen Sprachen ab. Ich denke, heute ist das sehr ausgereift.
Wie funktioniert das technisch?
Die Schweiz verfolgt den Ansatz, wie die meisten europäischen Staaten: Sie lagern das Problem aus und überlassen es den Telekommunikationsprovidern. Die müssen die entsprechenden Schnittstellen bereitstellen. Bei dieser Vorratsdatenspeicherung wird nicht der Inhalt des Gesprächs aufgezeichnet, sondern nur, wer wann mit wem telefoniert hat. Bei Mobiltelefonen wird auch der Standort ermittelt. Aus den Daten ergeben sich Profile, die ohne richterlichen Beschluss abgefragt werden können, wenn es sich um Gespräche ins Ausland handelt. In der heutigen vernetzten Welt ist das ein Riesenproblem.
Der Schweizer Datenschutzbeauftragte sagt, er führe wichtige Telefonate nur noch über das Festnetz.
Festnetz in dem Sinne gibt es seit ein paar Jahren nicht mehr. Heute ist es eine IP-basierte Kommunikation, die auch über das Internet läuft. Nur die letzen 100 Meter sind noch Kupferkabel. Inwieweit eine NSA solche Inlandsgespräche abhören kann, entzieht sich aber meiner Kenntnis.
Kann sich der Normalbürger gegen Spionage wehren?
Am Telefon muss er aufpassen, was er sagt. Dateien wie etwa Fotos oder Dokumente kann man verschlüsseln, bevor man sie in der Cloud ablegt. Aber wenn ich ein Geheimdienst wäre, wären verschlüsselte Daten ein Kriterium, das mich erst Recht neugierig machen würde. Der User bekommt dann ein paar Punkte mehr. Ansonsten könnte man hoffen, dass man als kleiner Fisch sozusagen unter dem Radar bleibt.
Ausser locker bleiben gibt es keine Lösung?
Die einzige Lösung wäre eine politische, aber es ist den Leuten relativ egal. Man sieht es beim Thema Vorratsdatenspeicherung: Die Leute interessieren sich mehr dafür, dass ihre Filmdownloads legal bleiben, als für ihre Kontodaten. Die EU hat den USA im Swift-Abkommen erlaubt, alle internationalen Überweisungen einzusehen. Auch die Schweiz ist daran angeschlossen.
Die Cyber-Spione haben ja auch die Wirtschaft im Visier - wie schlimm ist das für Firmen in der Schweiz?
Ich denke, das ist ein riesiges Problem. Wirtschaftsspionage wird auch von befreundeten und verbündeten Nationen betrieben. Alle tun das – auch wenn die Schweiz da mehr Opfer als Täter ist. Gerade im Mittelstand wird die IT-Sicherheit als Kostenfaktor gesehen, deren Sinn nicht gesehen wird. Erst wenn auf der Messe amerikanische oder chinesische Maschinenbauer ähnliche Produkte präsentieren, ist das Staunen gross.
Der verstorbene Ulrich Mühe als Stasi-Hauptmann Gerd Wiesler in dem deutschen Film «Das Leben der Anderen» von 2006. Quelle: YouTube/prettyinpunk13