Sexuelle ÜbergiffeHexen jagen an türkischen Unis Vergewaltiger
Die «Campus-Hexen» kämpfen an türkischen Hochschulen gegen männliche Gewalt – und langen dabei auch mal zu.
Vor einigen Wochen kam es auf dem Gelände der Universität Ankara zu einer bemerkenswerten Szene: Eine Gruppe junger Frauen näherte sich einem sitzenden jungen Mann. Nach einem kurzen Wortwechsel traktierten die Frauen ihn mit Fäusten und Tritten: «Dieser Mann hat seine Ex-Freundin sexuell belästigt, er ist ein Frauenschänder!»
(Quelle: Youtube/Kampüs Cadlar)
Die Campus-Hexen hatten im wahrsten Sinn des Worts zugeschlagen – und ihrem Motto «Warte nicht auf einen Prinzen. Wenn du ein Wunder brauchst, setz deine Hoffnungen lieber in eine Hexe» alle Ehre gemacht.
Wenn eine Frau Opfer sexueller Gewalt geworden sei und dies öffentlich mache wolle, würden die Hexen einschreiten, erzählt Meral Cinar, eine Mitbegründerin der Campus-Hexen, im Interview. «Im Fall von Ankara erzählte uns die Frau, dass ihr Ex sie habe vergewaltigen wollen, als sie sich von ihm trennte. Wir warnten ihn daraufhin und veröffentlichten seine frauenfeindlichen Twitter-Postings an der Uni. Doch er sah seine Schuld nicht ein, beleidigte und provizierte uns stattdessen.» Entsprechend hätten die Campus Hexen von ihrem Recht auf Selbstverteidigung Gebrauch gemacht.
Anzügliche Witze der Professoren
Die «Hexen» sind mittlerweile in zwanzig verschiedenen türkischen Universitäten aktiv. Gegründet an Halloween 2012, setzt sich die Vereinigung für Gleichberechtigung und Frauenrechte im Land ein.
Dass das nötig ist, zeigen die individuellen Erfahrungen: «Ich war eine von fünf Frauen in einer Vorlesung mit 80 Männern. Nicht nur ignorierten die Professoren unsere Fragen fortlaufend, sie machten auch anzügliche und sexistische Witze», sagt «Hexe» Cinar. Auch die Zahlen sprechen für sich: Im Global Gender Gap Report 2015, der die Gleichstellung der Geschlechter analysiert, liegt die Türkei auf Platz 130 von 145 Ländern. Oder anders gesagt: Jede vierte Türkin ist in ihrem Leben mindestens einmal Opfer von Belästigung oder sexueller Gewalt geworden.
Gewalt und Gegengewalt
Auf den Uni-Geländen sei die Gewalt gegen Frauen immer wieder Thema, sagt «Hexe» Cinar. «Die Männer des Sicherheitsdienstes belästigen Studentinnen. Es gibt unbeleuchtete Wege, auf denen die Frauen vergewaltigt werden. Zwei Studentinnen wurden auf dem Gelände der Ega-Universität in Izmir ermordet. Das alles sind Gründe, wieso es uns gibt.»
Dass die «Hexen» mutmassliche Angreifer und Schänder outen und ihnen mitunter körperlich auf den Pelz rücken, findet nicht jeder gut. Gewalt gegen Frauen könne nicht mit Gegengewalt beantwortet werden, sagt etwa Gaye Usluer, Bildungsbeauftragte bei der Republikanischen Volkspartei CHP dem Webportal «Al Monitor». «Dass die Frauen eine Botschaft von Stärke und Solidarität aussenden, ist begrüssenswert. Sie sollten dies aber nicht mit den gleichen Mitteln tun wie jene, die sie anprangern.»
Beinahe in den Selbstmord getrieben
Die Campus-Hexen sehen das anders. Es sei Selbstverteidigung, was sie betreiben würden, sagen sie. Deswegen bieten sie auch kostenlose Kampfsportkurse an den Unis an. «So lernen wir, wie wir uns vor Vergewaltigern und Mördern schützen können, wie wir uns selbst verteidigen können. Es ist leider sehr nötig», so «Hexe» Cinar.
Die Macht der Hexen ist nicht zu unterschätzen – im Positiven wie im Negativen. Das zeigte sich letzten November an der Akdeniz-Universität in Antalya: Als die Campus-Hexen einen Mann öffentlich eines sexuellen Übergriffes beschuldigten, versuchte dieser sich später umzubringen. Er bestand darauf, zu Unrecht angeprangert worden zu sein.