«Viele Menschen haben Beine verloren»

Aktualisiert

Anschläge in Brüssel«Viele Menschen haben Beine verloren»

Augenzeugen berichten von den Anschlägen in Brüssel. Laut einem Experten müssen die Terroristen starke Sprengsätze gezündet haben.

von
rub
Die belgische Verkehrsministerin Jacqueline Galant hat nach Vorwürfen an den Sicherheitsmassnahmen auf den Flughäfen ihren Rücktritt eingereicht. (15. April 2016)
In Belgien läuft die Suche nach Terroristen weiter: Belgische Polizisten bei einer Razzia im Brüsseler Stadtteil Etterbeek. (9. April 2016)
Das eigentliche Ziel Frankreich wurde auf Brüssel verlegt: Der Flughafen Zaventem in Belgien nach den Anschlägen. (23. März 2016)
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Die belgische Verkehrsministerin Jacqueline Galant hat nach Vorwürfen an den Sicherheitsmassnahmen auf den Flughäfen ihren Rücktritt eingereicht. (15. April 2016)

AFP

Der Flughafenmitarbeiter Alphonse Lyoura war fünf Meter von der Detonation entfernt: «Ein Mann rief ein paar Worte auf Arabisch, dann hörte ich eine laute Explosion. Panik brach aus. Während ein paar Minuten habe ich mich versteckt. Ich habe mindestens sechs oder sieben Verletzten geholfen. Wir haben auch leblose Körper fortgeschafft.» Gemäss Lyoura, der für die Gepäckabfertigung zuständig ist, vergingen zwischen den beiden Explosionen nicht mal zwei Minuten.

In der Empfangshalle des Flughafens herrschte Panik. «Viele Menschen haben Beine verloren», berichtet Lyoura unter Tränen, seine Hände blutverschmiert. «Es war grausam, Belgien hat das nicht verdient. Ein Mann hat beide Beine verloren und das Bein eines Polizisten wurde völlig zerquetscht.»

«Ich dachte, ein Baustellen-Kran sei umgestürzt»

Auch Taxifahrer Philippe Lenaerts war heute Morgen am Flughafen Zaventem: «Ich hörte eine erste Explosion und dachte, ein Baustellen-Kran sei umgestürzt», sagt er zur belgischen Zeitung «Dernière Heure». «Doch zwei, drei Minuten später wiederholte sich der Knall, diesmal auf der anderen Seite des Gebäudes bei den Abflügen», schildert Lenaerts weiter.

Der Taxifahrer ging mit einem Kollegen nachsehen. «Alles war durcheinandergewirbelt. Wir sahen eine Blutlache, Verletzte und verstümmelte Körper», berichtet Lenaerts. «In einer panischen Reaktion sind alle zu den Ausgängen gerannt.»

Die beiden Explosionen kamen scheinbar aus dem Nichts. «Wir dachten zuerst, es handelt sich um irgendetwas von der Baustelle, hier wird zurzeit so viel gebaut», berichtet Anne, die am Brüsseler Flughafen Zaventem in der Gepäckabfertigung arbeitet. Doch dann seien Menschen in Panik auf sie zugerannt. «Sie haben geschrien, geweint, sie hatten Angst.» Und dann wird klar: Attentäter haben den Flughafen der belgischen Hauptstadt angegriffen. Als sich die ersten Rauchschwaden verzogen haben, bietet sich ein Bild des Grauens. Todesopfer liegen in Blutlachen auf dem Boden, die Gliedmassen teilweise abgerissen.

Rettungskräfte waren nicht gleich vor Ort

Für ihn dauerte es viel zu lange, bis die Rettungsdienste eintrafen. «Kein Polizist, kein Sanitäter während mehrerer Minuten.» Dabei herrsche bereits Alarmstufe 3. «Eine typisch belgische Organisation», beklagt sich der Taxifahrer.

Eine andere Zeugin, die sagt, in ihrer Nähe habe sich die zweite Explosion ereignet, berichtet ebenfalls, wie die Menschen nach den Explosionen in grosser Angst geflohen seien. «Die meisten haben ihr Gepäck einfach stehen lassen.»

Dann, kurz nach 9.00 Uhr, erschüttert eine dritte Explosion die belgische Hauptstadt, getroffen diesmal die U-Bahnstation Maalbeek, nur wenige hundert Meter von den Hauptgebäuden der EU-Kommission und des EU-Rats entfernt.

Passanten leisteten erste Hilfe

Die Menschen stürzen dort aus dem Schacht ins Freie, halten sich Taschentücher auf blutende Kopfwunden, sacken auf dem Trottoir zusammen. Geschockte Passanten knien sich hin zu ihnen, leisten erste Hilfe. Die viel befahrene Strasse vor der Station wird gesperrt.

Die 33-jährige Greet berichtet, wie sie der Explosion nur knapp entging. «Ich wäre beinahe am Ort gewesen», berichtet Greet. Mit dem Zug war sie aus Aalst nach Brüssel gekommen und wollte dann zu Fuss von der Station Schuman nach Maalbeek weitergehen.

«Als wir bei Schuman ausstiegen, hat ein Bahnmitarbeiter geschrien, wir sollen raus laufen, so schnell wir könnten», berichtet Greet.

Experte stuft Explosionen als stark ein

Der Terrorismus-Experte Claude Monique sagt zu «Dernière Heure», den Bildern nach zu urteilen müsse es eine starke Explosion gewesen sein. «Es braucht mächtige Ladungen, um Fenster zum Bersten zu bringen.»

Auch in der Metro barsten die Fenster. Ein Augenzeuge befand sich zum Zeitpunkt des Attentats in der U-Bahn. Der belgischen Tageszeitung La Libre erzählt er: «Wir sahen die Explosion, es gab einen riesigen Blitz. Die Fenster sind auf uns runtergekracht, die Türen haben sich geöffnet. Die Leute stürzten zu Boden, dann gab es eine zweite Detonation. Ich war im ersten Waggon und weiss nicht, wo die Bombe explodiert ist.»

In den Strassen von Brüssel beugen sich die Passanten über ihre Smartphones. Vielen steht der Schock ins Gesicht geschrieben. «Fragen Sie bitte jemanden anderen», sagt ein junger Mann mit Tränen in den Augen. «Wir haben Angst», sagt ein Bauarbeiter, der am Dienstag eigentlich an der Station Schuman arbeiten sollte.

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