Vater des Germanwings-Todespiloten«Er war zum Zeitpunkt des Absturzes nicht depressiv»
Zwei Jahre nach dem Germanwings-Absturz hat sich der Vater des Todespiloten an die Medien gerichtet. Er bestreitet die Schuld seines Sohnes.
Günter Lubitz (links), der Vater des Todespiloten, glaubt nicht an die Alleinschuld seines Sohnes. (Video: Tamedia/DPA)
Zum zweiten Jahrestag des Germanwings-Absturzes hält Günter Lubitz, der Vater des Todespiloten, eine Pressekonferenz in Berlin. Am 24. März 2015 führte der Absturz einer Germanwings-Maschine zu 150 Todesopfern, das Flugzeug zerschellte in den Bergen des südfranzösischen Départements Alpes-de-Haute-Provence. «Es ist kein Reinwaschen», betont der Moderator der Pressekonferenz, Medienexperte Hans-Joachim-Rüdel. Nach einem Aufruf, der Familie des Co-Piloten respektvoll zu begnegnen, leitet Medienrechtler Andreas Behr das eigentliche Thema der Konferenz ein. «Wir sind davon überzeugt, dass das Bild des Selbstmords falsch ist.»
Dann beginnt ein sichtlich angespannter Günter Lubitz seine Rede. Während er seinen Vortrag gänzlich vom Blatt abliest, erklärt er die im Vorfeld höchst umstrittene Terminwahl. «Natürlich wussten wir, dass sich das Unglück heute zum zweiten Mal jährt. Natürlich wussten wir, dass das auf wenig Verständnis stösst. Doch egal, welchen Tag wir gewählt hätten, es hätte immer dieselben bösen Reaktionen hervorgerufen.» Die Terminwahl stiess im Vorfeld auf grosse Kritik. Er habe den Termin für seine Darstellung am Gedenktag gewählt um sich Gehör zu verschaffen, begründete Günter Lubitz seinen Auftritt.
Darstellung eines dauerdepressiven Massenmörders
Dann nimmt Lubitz Stellung zum Gesundheitszustand seines Sohnes. «Wir müssen damit leben, dass wir Eltern nicht nur unseren Sohn verloren haben. Wir müssen damit leben, dass er in den Medien als psychisch labiler Massenmörder dargestellt wird. Wir müssen damit leben, dass unser Sohn in den Medien auch als dauerdepressiv dargestellt wird.» Doch genau dies sei er nicht gewesen. Sein Sohn habe im Jahr 2008 Depressionen gehabt, die Krankheit aber sechs Jahre vor dem Absturz überwunden. In den Jahren 2014 und 2015 habe es häufige Arztbesuche gegeben, aber nur wegen Augenleiden.
«Mein Sohn war zum Zeitpunkt des Absturzes nicht depressiv.» Depression sei nicht der Grund des Absturzes gewesen. Kein Arzt oder Therapeut habe damals Suizidtendenzen festgestellt. Es habe auch keine Hinweise auf ein «fremdaggressives Verhalten» vorgelegen, sagte er. Andreas Lubitz sei in den sechs Jahren vor dem Absturz «ein lebensbejahender, verantwortungsvoller Mensch gewesen». «Auch wir suchen nach Antworten», sagte Lubitz. Er stehe «der Tragödie fassungslos gegenüber».
«Wir sind überzeugt, dass dieses Bild, das alle vom Absturz haben, falsch ist, und immer falsch war», meint Behr. Da die offizielle Version sich aus den ermittelten Fakten nicht erhärten liesse, wird eine Fortsetzung der Ermittlungen gefordert. Der von Lubitz beauftragte Luftfahrtexperte Tim van Beveren zweifelt das Ergebnis der Ermittlungen an, das bereits 48 Stunden nach dem Vorfall vorlag. Er wirft den französischen Behörden vor, Spekulationen als Fakten dargestellt zu haben. Ausserdem kritisiert er, wie die Ermittlungen geführt wurden.
Defekte Cockpit-Verriegelung?
Der Gutachter Tim van Beveren brachte noch die Möglichkeit einer defekten Cockpit-Verriegelung ins Spiel. Es könnte schon vor dem letzten Flug der Germanwings-Maschine Probleme mit der Cockpit-Verriegelung gegeben haben.
Er habe Informationen erhalten, dass sich eine Crew dieses Jets einmal selbst ausgesperrt habe. Er habe dies den Absturz-Ermittlern auch mitgeteilt. «Es ist nicht untersucht worden», sagte van Beveren am Freitag vor den Medien in Berlin. Nach Erkenntnissen der Ermittler hatte der Copilot den Flugkapitän ausgesperrt und den Jet anschliessend absichtlich zum Absturz gebracht. Dies ist nach Darstellung van Beverens nicht zweifelsfrei erwiesen.
Van Beveren verwies zudem auf Turbulenzen, die es am 24. März 2015 über dem Absturzgebiet gegeben habe. Solche Luftlöcher seien sehr gefährlich. Etliche andere Piloten hätten deswegen am Absturztag niedrigere Flughöhen gewählt.
Lubitz gilt als alleiniger Schuldiger
Die Ermittler gehen davon aus, dass der Copilot die Maschine absichtlich in die Katastrophe steuerte, um sich das Leben zu nehmen. Zu diesem Schluss kamen die Staatsanwaltschaft Düsseldorf, die Staatsanwaltschaft Marseille und die französische Flugunfallbehörde BEA. Die Ermittlungen ergaben eine lange psychische Krankheitsgeschichte und Arztbesuche wegen psychischer Leiden in den Monaten vor der Katastrophe.
Zudem soll sich Lubitz mit den Möglichkeiten eines Suizids und mit den Sicherheitsvorkehrungen bei Cockpittüren befasst haben. Der Copilot hatte den Ermittlungen zufolge den Kapitän während des verheerenden Sinkflugs in den französischen Alpen aus dem Cockpit ausgesperrt. Bei der Tragödie am 24. März kamen alle 150 Insassen ums Leben. Lubitz gilt als alleiniger Schuldiger der Tragödie.
Gedenkanlässe in Frankreich und Deutschland
Zur gleichen Zeit wurde in den französischen Alpen und im Ruhrgebiet der Opfer gedacht. In der Kathedrale der französischen Alpenstadt Digne-les-Bains kamen rund 500 Angehörige zu einer ökumenischen Trauerzeremonie mit Schweigeminute zusammen. Anschliessend stand die Einweihung einer neuen Trauerstele im Dorf Le Vernet, das der Absturzstelle am nächsten liegt, auf dem Gedenkprogramm.
Mit fünf Schweigeminuten zur Absturzzeit wurde auch im westfälischen Haltern gedacht. Die Stadt im nördlichen Ruhrgebiet war schwer betroffen. 18 Angehörige eines Gymnasiums, 16 Schüler und zwei Lehrerinnen, sassen in der Todesmaschine.
Die gemeinsame Veranstaltung von Stadt, Kirchen und Joseph-König-Gymnasium fand unter freiem Himmel an der Gedenkstätte der Schule statt. An der Feier nahmen alle rund 1200 Schülerinnen und Schüler, 100 Lehrer sowie etwa weitere 300 Personen teil. «Wir haben sie nicht vergessen und wir werden sie nicht vergessen», sagte Schulleiter Ulrich Wessel. «Die Erinnerung hat einen festen Platz an unserer Schule.» Die Schüler und Lehrerinnen der Schule waren auf dem Rückflug von einem Schüleraustausch in Spanien.