Bohrmaschine sitzt festBeim Tunnelbau gucken Amerikaner in die Röhre
In Seattle steckt Bertha, die weltgrösste Tunnelbohrmaschine, seit einem Jahr fest. Damit nicht genug: Die Erde senkt sich, Häuser und ein Viadukt drohen einzustürzen.
Seattle wähnt sich in vielem an vorderster Front. Doch beim Tunnelbau versagt die Stadt im äussersten Westen der USA, von wo aus um 1890 Glücksritter im «Klondike Gold Rush» nach Alaska aufbrachen und wo in jüngerer Vergangenheit Weltkonzerne wie Microsoft, Starbucks und Amazon entstanden.
Während in der Schweiz der 57 Kilometer lange Gotthard-Basistunnel seiner Inbetriebnahme entgegenblickt, steckt in Seattle eine Tunnelvortriebsmaschine seit dem 6. Dezember 2013 fest. Die Bohrmaschine ist zwar die massivste, die es weltweit jemals gab. – ihr Durchmesser von 17,5 Metern ist fast doppelt so gross wie jener der 9,6 Meter messenden Gotthard-Bohrer –, doch die in Anlehnung an eine berühmte Kanone aus dem Ersten Weltkrieg Bertha genannte Bohrmaschine hatte noch nicht einmal 10 Prozent des 3,6 Kilometer langen Tunnels ausgegraben, als sie plötzlich unter metallischem Knirschen ihre Drehung stoppte.
Unverdauliches Metall
Wie sich später herausstellte, hatte sich eine bloss 20 Zentimeter dicke Metallröhre, die vor zwölf Jahren nach einem Pumpentest nicht entfernt worden war, in den Schneidezähnen des Bohrkopfs verkeilt. Tunnelbohrmaschinen seien für Gestein konstruiert, sagte der Projektmanager Chris Dixon zur «New York Times», «sie reagieren nicht gut auf Metall».
Anfangs dachten die Behörden der Stadt und des Gliedstaats Washington noch, man werde die wie eine Riesenzigarre aussehende Bertha schnell wieder in Betrieb nehmen können. Doch es gelang nicht, das Problem vor dem Bohrkopf auf einfache Weise zu beheben. So entschlossen sich die Tunnelbauer, einen Schacht zu graben, um an die Front der Bohrmaschine heranzukommen. Bei einer Tunneltiefe von knapp 25 der nötigen 36 Meter kam ein neues Problem hinzu: Ein ganzer Häuserblock im Herzen von Seattle senkte sich um 2,5 Zentimeter ab.
Risse im Gemäuer, Ratten im Keller
Nach Angaben der Behörden sind mindestens 30 Gebäude in der Gegend des Pioneer Square von der Bodensenkung betroffen. In der Kanzlei des Rechtsanwalts Robbie Russell habe sich ein 30 Zentimeter langer Riss im alten Gemäuer aufgetan, berichtet die «New York Times». Der Manager des Traditionslokals J & M Cafe sagte der Zeitung, ein Riss in seinem Keller sei doppelt so breit geworden. Zudem wimmle es dort jetzt von Ratten, was vorher nie vorgekommen sei.
Zur Senkung kam es, weil die Ingenieure riesige Mengen von Grundwasser abpumpen mussten, um während den Grabarbeiten den Druck auf den Schacht zu reduzieren. Mit dem gesunkenen Wasserdruck verlor der Untergrund so viel an Stabilität, dass der Boden unter den Häusern absackte.
Hält das Viadukt?
Die grösste Furcht betrifft nun das doppelstöckige Viadukt der Alaskan Way-Autobahn, das der ebenfalls doppelstöckig angelegte Tunnel ersetzen soll. Der hässliche Betonbau aus den 1950er-Jahren versperrt nicht nur den Zugang zum Hafen vom Stadtzentrum aus. Er wurde auch Anfang des Jahrtausends für nicht erdbebensicher befunden, weshalb man das Tunnelprojekt überhaupt erst in Angriff nahm. Jetzt fragen sich viele Stadtbewohner, ob die Hochstrasse die Bauarbeiten schadlos überstehen wird.
Die Tunnelbauer beruhigen und seit dem 16. Dezember graben sie am Zugangsschacht weiter. Gemäss der Website des Projekts ist inzwischen eine Tiefe von 27 Metern erreicht. Laut Plan wollen die Projektleiter den Tunnelvortrieb im März wieder aufnehmen. Doch die Behörden zweifeln, dass dieser Termin eingehalten werden kann.