Tirade gegen Putin – was der Reporter dann erlebte

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Live im Russen-TVTirade gegen Putin – was der Reporter dann erlebte

James Kirchick schimpfte live im russischen Staatssender gegen Russlands Schwulenfeindlichkeit und Wladimir Putin. Jetzt erzählt der schwule Journalist, was im Anschluss passierte.

von
gux

James Kirchick machte diese Woche von sich reden, als er beim englischsprachigen Staatskanal RT (Russia Today) eine Diskussionsrunde sprengte: Der homsexuelle Reporter war aus Stockholm live zugeschaltet worden und sollte zum US-Justizurteil gegen Bradley Manning befragt werden. Doch Kirchick hatte andere Pläne.

Zum Entsetzen der RT-Moderatorin Julia Schapowalowa in Moskau ignorierte der zugeschaltete Gast das Thema, streifte sich regenbogenfarbene Hosenträger über und holte zum Rundumschlag gegen die «furchtbare Atmosphäre der Homophobie» in Russland aus: «Ich will die Schwulen in Russland wissen lassen, dass sie Freunde und Verbündete auf der ganzen Welt haben, die ob der Unterdrückung durch den Geldgeber Wladimir Putin nicht schweigen werden.»

Standing Ovation und Angst

Nach wenigen Minuten wurde der Amerikaner abgeklemmt. Jetzt erzählt er in der «Washington Post», was nach dem Eklat passierte. «Als meine Verbindung nach Moskau abgebrochen wurde, stand ich auf. Die schwedische Studiocrew spendete mir Applaus. Allerdings machte ich mir Sorgen, dass sie wegen meiner Tirade Schwierigkeiten bekommen könnte. Ich verabschiedete mich hastig.»

Dann hastete er zum Wagen, den RT zur Verfügung stellte und gab dem Chauffeur die Anweisung, zum Flughafen zu fahren. «Eine Produzentin des schwedischen Fernsehens rief mich an und fragte, wo ich sei. Ich war besorgt, dass die Russen nach mir suchen würden. Zudem hatte ich Angst, dass die Schweden mir den Missbrauch ihrer Gastfreundschaft übel nehmen würden. Deswegen erwiderte ich etwas harsch, dass sie mein Aufenthaltsort nichts angehe.»

Die Schwedin beruhigte Kirchick: «Wir sind ein demokratisches Land und beeindruckt von dem, was sie da eben gemacht haben.»

Aussteigen! RT zahlt Fahrt nicht

Zwanzig Minuten später klingelte das Telefon des Fahrers. «Als er aufgehängt hatte, erklärte mit der Mann in gebrochenem Englisch, dass RT die Fahrt nicht mehr zahlen würde und er mich absetzen müsse.» Doch zu diesem Zeitpunkt seien sie bereits auf der Autobahn mitten im Nirgendwo gewesen.

«Ich bot dem Mann an, selbst zu zahlen – was mich angesichts der lächerlich starken Schwedenkrone bestimmt einige hundert Dollar kosten würde. Er war einverstanden und setzte mich vor dem Flughafen ab.» Als Kirchick seine Kreditkarte zückte, rief der Fahrer die Zentrale an, um die Transaktion in die Wege zu leiten. «Er diskutierte mit seinem Kollegen auf Schwedisch. Schliesslich hängte der Mann auf und beschied mir, die Fahrt sei gratis.»

Pathos und Verachtung

«Vom Tragen von Regenbogen-Hosenträger beim Sender eines Landes, das mich deswegen ins Gefängnis stecken würde bis zum Taxiunternehmen, das den impulsiven Journalisten einer solchen Aktion gratis befördert – kein Zeichen ist zu klein, um sich mit jenen zu solidarisieren, die nach Freiheit streben.»

Kirchick schliesst seinen Bericht in der «Washington Post» nicht im Pathos, sondern mit einer erneuten Abrechnung: «Ich wollte mit der Aktion nicht nur Russlands Homophobie anklagen und die Homosexuellen Russlands unterstützen. Ich hoffte auch, den verderblichen Einfluss von RT zu enttarnen, das sich den Anstrich eines legitimen Nachrichtensenders gibt. Zu lange haben Journalisten demokratischer Länder, welche die westlichen Freiheiten als selbstverständlich hinnehmen, Jobs bei RT angenommen. Dadurch haben sie dieser Propagandamaschine unverdiente Glaubwürdigkeit verliehen. Sie sollten RT stattdessen die Verachtung entgegenbringen, die es verdient.»

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