Der Siegeszug der Steinlaus

Aktualisiert

Loriots VermächtnisDer Siegeszug der Steinlaus

Erstmals 1976 in einem Sketch von Loriot erwähnt, entwickelte ein winziges Nagetier ein bemerkenswertes Eigenleben.

Jean-Claude Gerber
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Jean-Claude Gerber

Eigentlich ging es Loriot vor 35 Jahren lediglich darum, den überaus beliebten Fernsehtierarzt und Verhaltensforscher Bernhard Grzimek auf die Schippe zu nehmen, als er Deutschland die gemeine Steinlaus näher brachte (siehe Video oben). Er konnte nicht ahnen, dass seine tierische Schöpfung noch Jahrzehnte später durch wissenschaftliche Lexika, Zoos und städtische Merkblätter geistern wird.

Das Eigenleben der Steinlaus nahm seinen Lauf, als der «possierliche kleine Kerl» 1983 in der 255. Auflage des Standardwerks «Pschyrembel Klinisches Wörterbuch» einen eigenen Lexikoneintrag erhielt. Darin wurde die Schöpfung Loriots als «zur Familie der Lapivora gehöriges einheimisches Nagetier» beschrieben. Auch einen wissenschaftlichen Namen bekam das 0,2 mm bis 0,5 mm grosse Tierchen: Petrophaga lorioti. In der 256. Ausgabe wurde der sogenannte Nihil-Artikel, also der frei erfundene Eintrag, über die Steinlaus ausgebaut. Darin wurde auf den möglichen therapeutischen Einsatz gewisser Subspezies hingewiesen. Erwähnt wurden in diesem Zusammenhang die Gallen-Steinlaus und die Zahn-Steinlaus.

Grosse Fangemeinde

Mit dem Umfang des Pschyrembel-Artikels wuchs auch die Fangemeinde der Steinlaus und so war der Aufschrei gross, als der Verlag De Gruyter für die 257. Auflage den Steinlaus-Eintrag strich. Die Redaktion hatte befürchtet, mit diesem Eintrag den Ruf des Nachschlagewerks zu schädigen. In der 258. Auflage war die Welt dann wieder in Ordnung und die Steinlaus feierte ihr Pschyrembel-Comeback. Als Grund für die temporäre Abwesenheit des kleinen Nagers nennt der Eintrag den Fall der Berliner Mauer. Dieser war demnach nicht nur durch die Steinlaus ausgelöst worden, sondern trug auch zu deren Verschwinden bei: Ohne Mauer hatte die Steinlaus nichts mehr zu fressen.

Inzwischen hat sich die Steinlaus auch ausserhalb trockener Lexikonseiten etabliert und im Internet einen eigenen Blog bekommen. Der Zoo Dortmund hat ein Gehege für die Steinlaus eingerichtet. Und die Beratungsstelle Schädlingsbekämpfung der Stadt Zürich hat 2009 ein Merkblatt zur Steinlaus herausgegeben, um auf ihr Angebot aufmerksam zu machen. Auch Professor Bernd Ullrich von der technischen Universität Dresden hat sich in einer Reihe von Artikeln Loriots Schöpfung angenommen.

Keine schlechte Karriere also für die kleine Laus des grossen Humoristen. Zusammen mit anderen Loriot-Schöpfungen wie Herr Müller-Lüdenscheid und Erwin Lindemann wird der gefrässige Nager sicherstellen, dass der grosse Vicco von Bülow nicht vergessen geht.

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