Prussian BlueKiffen bekehrt die Nazi-Zwillinge
Als singende Olsen-Twins der rechten Szene sorgten sie weltweit für Schlagzeilen. Ihre Hass-Musik war einschlägig bekannt. Nun sind Lynx und Lamb Gaede geläutert – Marihuana sei Dank.
«Ich bin keine weisse Nationalistin mehr», so Lamb Gaede im Interview mit dem Online-Newsmagazin «The Daily», «meine Schwester und ich sind jetzt ziemlich liberal.» «Ich persönlich liebe Diversität», doppelt Zwillingsschwester Lynx nach, «es erfüllt mich täglich von Neuem mit Stolz, dass wir so viele verschiedene Kulturen haben, dass wir in der Menschheit so viele Orte und Leute haben.»
Ja also, geht doch! Mit Erreichen ihrer Volljährigkeit haben Lynx und Lamb Gaede, die singenden Zwillinge des Nazi-Folk-Duos Prussian Blue, offenbar mit dem braunen Gedankengut ihrer Kindheit gebrochen.
Happy Hitler
Prussian Blue tauchte zwar nie in den Charts auf und verkaufte auch nicht sonderlich viele Tonträger (dazu waren sie musikalisch schlicht und einfach zu schlecht), doch eine Zeit lang, Mitte der Nullerjahre, waren sie omnipräsent in den Medien der westlichen Welt. Alleine schon das Promobild mit den «Happy Hitler»-T-Shirts war sensationell genug. Die beiden waren «das neue Gesicht des Hasses», wie es die kanadische Zeitung «The Ottawa Sun» ausdrückte.
Dazu kam die bizarre Familiengeschichte: Die alleinerziehende Mutter April Gaede, nahm ihre Zwillingstöchter aus dem örtlichen Kindergarten und unterrichtete sie fortan zuhause – will heissen: indoktrinierte sie mit Nazi-Gedankengut. Ihre braune Begeisterung hatte sie anscheinend vom Vater geerbt, einem Farmer aus Bakersfield, Kalifornien, dessen Viehherden mit Hakenkreuzen gebrandmarkt waren.
Der Joint des Lebens
Eine solche Kindheit hinterlässt Spuren. Über allfällige psychologischen Folgen kann man nur spekulieren, doch die mittlerweile 19-jährigen Zwillinge leiden beide an konkreten körperlichen Gebrechen. Lynx wurde ein Krebsgeschwür in ihrer Schulter entfernt. Seither leidet sie an der seltenen Krankheit Cyclic Vomiting Syndrom (Syndrom des zyklischen Erbrechens). Lamb quälen aufgrund einer akuten Skoliose chronische Rückenschmerzen.
Den Schwestern wurde ein Sammelsurium von Medikamenten verschrieben, doch nur eins nützte: Marihuana. Beide haben nun Zugang zu ärztlich verschriebenem Marihuana, wie es im US-Staat Montana, wo sie wohnen, erlaubt ist. «Ich muss zugeben, Marihuana hat mein Leben verändert», so Lynx gegenüber «The Daily», «ohne es wäre ich vermutlich tot.» So sehr sind sie von der positiven Wirkung der Droge überzeugt, dass sie sich nun für die Legalisierung in allen 50 US-Bundesstaaten einsetzen.
Ausserdem scheint das Kiffen ihre Kreativität wieder angekurbelt zu haben. Beide malen nun, und das Musizieren dürfte bald folgen. Nur die Themen dürften nicht mehr dieselben sein wie damals, als sie vor knapp zehn Jahren damit begannen.
Judensong für Fascho-Prolls
Kaum hatten Lynx und Lamb rudimentäre Kenntnisse der Gitarre erworben, wurden sie unter der Ägide der ambitionierten Mutter unter dem Namen Prussian Blue als singende Olsen-Zwillinge der Nazi-Szene aufgebaut. Mit Covers von Rechtsrock-Bands wie Skrewdriver oder Eigenkompositionen wie «Sacrifice» (eine Ode an den Hitler-Stellvertreter Rudolf Hess, «ein Mann des Friedens, der nie aufgab») begeisterten sie die rechte Szene in den USA und Europa.
Interessanterweise zeigten sich aber sehr früh Risse im perfekten, rein weissen Familienbild. Auf der Europatournee 2006 nahmen die Schwestern «Knockin' On Heaven's Door» ins Programm auf. «Oh ja, unsere Mutter warnte uns», erinnert sich Lamb, «sie sagte ‹Ihr wisst, einigen Leuten wird das nicht gefallen – Bob Dylan ist ein Jude›».
Mutterliebe obsiegt
Bereits 2007 zeigte die Doku «Nazi Pop Twins» des britischen TV-Senders Channel 4 auf: Die 15-Jährigen waren hin- und hergerissen zwischen der Liebe zu ihrer Mutter und dem Willen, das ganze Sieggeheile über Bord zu werfen. Die überzeugte Rassistin April Gaede ermahnte sie zwar ständig, verbot ihren Töchtern letztlich aber nicht, sich eigene Meinungen zu bilden. Dies ist wohl auch der Grund, weshalb die Beziehung zur Mutter noch intakt ist, allen Gesinnungsdifferenzen zum Trotz.
April Gaede ist weiterhin in der White-Power-Szene aktiv – zuletzt als Partnervermittlerin für Nazis, die eine Familie gründen wollen – und hegt Hoffnungen, dass die neu gefundene Toleranz ihrer Töchter eine vorübergehende Phase sein könnte: «Sie sind erst 19. Ich denke, wenn sie eigene Kinder haben, werden sie die gleichen Schlüsse ziehen wie ich.»
Friede, Freude, Hanfkuchen
Die Indoktrination der Töchter war so umfassend, dass sie wohl noch lange Folgen zeigt. Lynx und Lamb geben freimütig zu, dass ihr Horizont freilich noch etwas eingeschränkt ist: «Wir wurden nur zuhause unterrichtet. Wir waren diese Landeier, die den Grossteil des Tages auf dem Hügel mit unseren Geisslein spielend verbrachten.» Doch demnächst beginnt ihr erstes College-Semester, wo ihr freundliches Naturell und ihre Marihuana-Pässe ihnen gewiss neue Freunde und damit neue Ansichten bescheren werden.
«Wir wollen für Liebe und Licht stehen», so Lamb. «Ich denke, wir sind für mehr bestimmt – wir sind Heiler. Wir wollen einfach so viel Liebe und positive Einstellung wie möglich vermitteln.» Das hört sich nun wirklich mehr nach Timothy Leary als nach Adolf Hitler an.