«Buddha» geht in Pension
Eine Institution am Zürcher Obergericht geht in Pension: Nach über 36 Jahren beendet Adolf Scheidegger, genannt Buddha, seine Justiz-Karriere.
Ein Gespräch mit dem 63-Jährigen Juristen und leidenschaftlichen Jazzpianisten.
Scheidegger war Auditor und Gerichtschreiber am Bezirksgericht Zürich, Bezirksanwalt, Staatsanwalt des Kantons Zürich und seit 1989 Oberrichter. Er könnte nicht Anwalt sein, sagt Scheidegger im Gespräch mit der sda: «Es wäre mir gegen den Strich gelaufen, jemanden zu verteidigen, der schuldig ist.»
Einem anderen Publikum ist er als Jazzpianist bekannt. Die siebenköpfige Band «Buddha's Gamblers» spielt seit über 20 Jahren alten Jazz, Dixieland und Swing. Eine Zeitung habe einmal geschriegen, sie sei die «swingendste Band der Schweiz», sagt «Buddha» Scheidegger.
Gespür für Stimmung im Saal
Er werde Buddha genannt, weil er als 20-Jähriger 110 Kilogramm wog, erklärt Scheidegger und fügt lachend an, «und weil ich ein sanft abgeklärtes Wesen habe». Tatsächlich war er ein Richter mit Gespür für die Stimmung im Saal.
Zwei labil wirkende ehemalige Satanisten, die Friedhöfe schändeten, befragt er einfühlsam. Wenn der Verteidiger eines Hanfbauern ein kreatives Urteil fordert, kontert der Jazzpianist, kreativ sei er in der Freizeit. Als Richter aber müsse er geltendes Recht anwenden.
Er habe immer versucht, die Angeklagten anständig zu behandeln, sagt Scheidegger: «Sie sollten nicht das Gefühl haben, dass einer über ihnen thront.» In der Verhandlung entgegenkommend, ist er in der Sache hart.
Er hält wenig vom grenzenlosen Täterschutz, der seit Anfang 80er bis gegen Ende der 90er Jahre herrschte. Damals seien die Gerichte auch mit psychiatrischen Gutachten eingedeckt worden. Mit dem Fall des Sexualmörders Erich Hauert, der 1993 während eines Hafturlaubs eine Pfadiführerin tötete, sei man in dieser Hinsicht vorsichtiger geworden.
Keine Ferien wegen «Beizen-Huber»
Die Justiz habe sich in den letzten 36 Jahren massiv verändert, sagt Scheideger: «Wir befassen uns eingehender mit den Fällen als früher.» Der Korruptionsfall Raphael Huber etwa beschäftigte ihn während zwei Jahren. Dafür seien auch Ferien ins Wasser gefallen, ergänzt die Gattin des Oberrichters.
75 Bundesordner füllte der Fall «Beizen-Huber», Verhandlungen wurden verschoben und der Angeklagte erschien nicht. «Huber war der einzige Angeklagte, den ich nie zu Gesicht bekommen habe», erinnert sich Scheidegger, der als Oberrichter über 3500 Urteile fällte.
Insgesamt verlagerten sich die zu beurteilenden Taten weg von Vermögens- zu Gewaltdelikten. «Die Gewaltbereitschaft hat zugenommen», sagt Scheidegger, der zuerst im Landesring und später in der FDP Mitglied war. Es würden mehr Sexualdelikte verhandelt, weil mehr Anzeigen erfolgten, und nicht weil es mehr Fälle gebe. Die Öffentlichkeit sei sensibilisierter.
Speziell tragisch habe er Gewaltdelikte innerhalb der Familie empfunden, sagte Scheidegger. Dennoch könne man nicht an jedem Schicksal teilhaben. Als Bezirksanwalt habe er gelernt, nicht mitzuleiden und nicht alles an sich herankommen zu lassen.
Fall Thiago speziell schlimm
Gewisse Fälle seien ihm aber schon nahe gegangen. Etwa derjenige eines 37-Jährigen, der seine schwangere Freundin mit 83 Messer- und Scherenstichen umbrachte. Eine solche Abschlachterei habe er noch nie erlebt, sagte Scheidegger an der Verhandlung.
Am schlimmsten seien für ihn die Fälle mit wehrlosen Opfern wie Kindern gewesen, beispielsweise das Schicksal des vierjährigen Thiago, der von der Adoptivmutter brutal misshandelt wurde und starb. «Nach solchen Verhandlungen war ich physisch und psychisch kaputt», erinnert sich Scheidegger. Da habe ihm die Musik viel geholfen.
Dem Jazz wird sich Scheidegger vermehrt widmen. Er freue sich auch aus literarischen, kulinarischen und önologischen Gründen auf die Zeit nach dem Gericht. Er habe sich vorgenommen, Uwe Timm zu lesen oder die Gesamtwerke Bölls und Döblins sowie Krimis. Zudem wolle er wieder selber kochen, erklärt der Sushi-Fan. Und ein guter Tropfen Wein gehört laut «Buddha» Scheidegger stets dazu.
(sda)