«Tanz dich frei»Sprayereien, Schlägereien und 20 Tonnen Müll
10 000 Partygänger zogen vergangene Nacht in einem Protest-Zug durch Bern. Sie hinterliessen einen riesigen Abfallberg sowie Sprayereien und Beschädigungen am Bundeshaus.
Mehr als 10 000 junge Menschen haben die Berner Innenstadt in der Nacht auf Sonntag zur Party-Meile gemacht und gleichzeitig für mehr Freiräume demonstriert. Der bunte und lautstarke Umzug ging einigermassen geordnet über die Bühne.
Die Polizei liess die tanzfreudige Menge gewähren, obwohl sich die anonymen Organisatoren nicht um eine Bewilligung bemüht hatten. Ihr Aufruf zur Strassenparty hatte sich via Facebook in Windeseile verbreitet.
Der städtische Sicherheitsdirektor Reto Nause hat am Sonntag eine gemischte Bilanz der Tanz-Demo gezogen. Angesichts der grossen Menschenmenge sei der Anlass einigermassen geordnet über die Bühne gegangen, sagte Nause.
Allerdings habe es eine Reihe von Sachbeschädigungen gegeben, was sich unter anderem in Sprayereien und einem eingeschlagenen Fenster am Bundeshaus manifestiere. Vereinzelt sei es zu Schlägereien und zu Übergriffen auf Polizisten gekommen. Bei der Polizei seien überdies viele Lärmklagen eingegangen.
20 Tonnen Müll
Riesig sei der Abfallberg, den die Demo-Teilnehmer auf den Strassen zurückgelassen hätten. Rund 20 Tonnen Müll hätten entsorgt werden müssen, das sei die zweithöchste Menge der letzten Jahre. Nur an den Top-Tagen der Euro 2008 sei noch mehr Abfall auf der Strasse gelandet.
Die Sanitätspolizei musste gemäss Nause insgesamt zwölf Personen betreuen und sechs davon ins Spital transportieren. Hauptgründe waren Verletzungen infolge von Stürzen und die Folgen übermässigen Alkoholkonsums.
Nachtlebenkonzept in Arbeit
Nause sprach gemäss Gemeinderatsbeschluss für die ganze Stadtregierung. Er hielt fest, der Gemeinderat habe die Forderung nach mehr Freiräumen im Berner Nachtleben zur Kenntnis genommen und schenke diesem Anliegen weiterhin Aufmerksamkeit.
Dementsprechend sei zurzeit ein Nachtlebenkonzept in Arbeit. Allerdings seien die Möglichkeiten begrenzt durch übergeordnetes Recht von Bund und Kanton Bern. Der Stadtberner Gemeinderat sei also nicht der einzige Adressat des Jugend-Anliegens.
10 000 beteiligten sich am Umzug
Bei bestem Frühsommerwetter hatten sich laut Polizei mehr als 10 000 Menschen am Umzug von der Reitschule via Bahnhof und Zytglogge zum Bundesplatz beteiligt. Es war Berns grösste Jugendkundgebung seit November 1987. Damals hatte der Kampf um die Hüttensiedlung Zaffaraya die junge Generation auf die Strasse getrieben.
Der Anlass vom Samstag stand unter dem Motto «Tanz dich frei» und richtete sich in erster Linie gegen behördlich verfügte Beschränkungen des Berner Nachtlebens. Für manche Teilnehmer ging es auch um Kritik am Kapitalismus, und viele nahmen wohl einfach aus Freude am Happening teil.
Dem Aufruf angeschlossen hatten sich das autonome Kulturzentrum Reitschule, mehrere Gastrobetriebe, Nachtklubs, Linksparteien und Interessensorganisationen. Sie alle werfen den Stadtbehörden vor, die Bedürfnisse der Jungen zu verkennen und das Nachtleben ausdorren zu lassen.
Eine Art Street Parade mit Polit-Botschaft
Der Protest-Umzug startete kurz nach 21 Uhr. Rund ein Dutzend Sound-Mobiles befeuerten - wie bei der Street Parade - das tanzwütige Publikum auf dem Weg zum Bundesplatz. Während des Umzugs wurden regelmässig Knallpetarden gezündet.
Vor dem Hotel «Schweizerhof» flogen zudem Feuerwerkskörper gegen die Fassade. Mehrere Demo-Teilnehmer brachten sich in Gefahr, als sie die Überdachung beim Bahnhof bestiegen und sich in der Nähe der Fahrleitungen aufhielten.
Ein offizielles Ende der Kundgebung gab es nicht - bis in den Morgen hinein wurde an mehreren Brennpunkten getanzt, getrunken und gefeiert. Einen letzten Höhepunkt setzte die Berner Band «Patent Ochsner» in den Morgenstunden mit einem Spontankonzert vor der Reitschule.
(sda)