Economiesuisse-Chef Karrer«Die SVP-Initiative richtet grossen Schaden an»
Economiesuisse-Präsident Heinz Karrer glaubt nicht, dass die Zuwanderungs-Initiative den Dichtestress verhindert. Stattdessen würde sie die Finanzierung der AHV gefährden.

«Die Initiative richtet grossen Schaden an»: Heinz Karrer, Economiesuisse-Präsident.
Herr Karrer, fahren Sie gerne Zug?
Ja, ich nehme die tolle Bahninfrastruktur der Schweiz – beispielsweise am letzten Samstag – gerne in Anspruch.
Ärgern Sie sich ab und zu über die vollen Züge?
Wer tut das nicht? Solche Situationen zeigen mir einerseits, wie wichtig es ist, dass wir die Infrastruktur bedarfsgerecht ausbauen. Andererseits regen sie aber auch dazu an, das eigene Mobilitätsverhalten zu hinterfragen. Wir alle sind heute deutlich mehr unterwegs als noch vor zehn oder zwanzig Jahren. Das führt zu Engpässen.
Folgen der wachsenden Zuwanderung sind laut der SVP auch verstopfte Strassen, steigende Wohnungspreise und knapper werdendes Kulturland. Wie soll die Schweiz diese Probleme in den Griff bekommen, wenn nicht durch eine kontrollierte Zuwanderung, wie es die SVP-Initiative vorsieht?
Die Zuwanderung ist nicht die Ursache der von ihnen genannten Probleme, sie wirkt höchstens verstärkend. Es ist in erster Linie unser Wohlstand, der den Bedarf nach grösseren Wohnungen und mehr Mobilität antreibt. Gleichzeitig hat die Schweiz in puncto Raumplanung grossen Nachholbedarf, in vielen Gemeinden verlief die bauliche Entwicklung über zu lange Zeit weitgehend konzeptlos. An all diesen Dingen ändert die Initiative der SVP aber nicht das Geringste.
Die SVP will die Zuwanderung einschränken. Was wäre daran so schlimm?
Eine spürbare Beschränkung der Zuwanderung ist nicht umsetzbar, ohne den Wohlstand der Schweiz zu gefährden. Die Generation der Baby-Boomer steht vor der Pensionierung, dahinter kommen viele geburtenschwache Jahrgänge. Ohne Zuwanderung können wir diese Leute im Arbeitsmarkt gar nicht ersetzen und auch die Altersvorsorge im heutigen Umfang nicht mehr finanzieren.
Die Befürworter der Initiative glauben, dass im Inland noch ein grosses, längst nicht ausgeschöpftes Potenzial besteht. Der Ärztemangel etwa liesse sich einfach aufheben, indem man den Numerus clausus aufhöbe. Ausserdem würde die Initiative so umgesetzt, dass die Kontingentierung der Zuwanderung so ausgestaltet wird, dass man die Quote alle drei Monate dem Arbeitsmarkt anpassen könnte. Wie schlimm wäre der Fachkräftemangel tatsächlich?
Tatsächlich können wir im Inland Massnahmen treffen, um den Fachkräftemangel etwas zu lindern. Etwa, indem wir in Weiterbildung investieren und familienfreundlichere Arbeitsbedingungen schaffen. Doch das allein wird niemals ausreichen, um den Bedarf auszugleichen. Die Nachfrage nach Fachkräften im Gesundheits- und Pflegebereich steigt unter anderem, weil auch die Lebenserwartung stetig zunimmt. Und Kontingente sind immer etwas Starres – egal, ob sie jährlich oder quartalsweise festgelegt werden. Ein Unternehmen, das wegen eines Grossauftrags rasch Personal braucht, kann unmöglich monatelang auf ein freies Kontingent warten.
Sie glauben also nicht, dass Parlament und Bundesrat die Kontingente einfach so hoch ansetzen würden, dass die Wirtschaft weiterhin beliebig viele Arbeitskräfte bekäme?
Kontingente ohne einschränkende Wirkung würden der Absicht der Initianten widersprechen. Problematisch ist aber vor allem, dass die Initiative ein globales Kontingent für Arbeitskräfte aus EU-Ländern und Drittstaaten, Grenzgänger und Asylsuchende vorsieht. Aus völkerrechtlichen und humanitären Gründen können wir Asylsuchende jedoch nicht abweisen, ohne ihr Gesuch genau geprüft zu haben. Im Fall einer internationalen Krise mit vielen Flüchtlingen würden uns also plötzlich Kontingente für Arbeitskräfte fehlen.
Was wären weitere Folgen für die Wirtschaft?
Die Initiative will den Bedarf der Wirtschaft nach Arbeitskräften zwar berücksichtigen, stellt ihr gleichzeitig aber riesige Hürden in den Weg. Das Bewilligungsverfahren bedeutet für den Staat und die Unternehmen eine grosse Bürokratie, und die vorgesehenen Kontingente sorgen für Verteilkämpfe und Unsicherheit. Noch einschneidender wäre aber der Verlust der Bilateralen Abkommen mit der EU. Es hat Jahrzehnte gedauert, bis wir einen so guten Zugang zum europäischen Binnenmarkt bekommen haben – als Exportnation steht für uns viel auf dem Spiel.
Welche Sanktionsmassnahmen befürchten Sie seitens der EU?
Die Initiative ist mit dem Personenfreizügigkeitsabkommen unvereinbar, das gibt auch die SVP zu. Der Spielraum für Neuverhandlungen ist minimal. Denn die EU wird uns den vollen Zugang zum europäischen Binnenmarkt nicht länger gewähren, wenn wir eine grundlegende Spielregel in diesem Markt nicht mehr einhalten wollen. Deshalb ist das Risiko gross, dass wir die Bilateralen I, die diesen Zugang regeln, verlieren werden.
Kritiker glauben aber nicht, dass die EU die Bilateralen I mit der Schweiz aufkündigen würde – nur schon, weil dazu die Zustimmung aller 28 EU-Mitglieder nötig wäre. Eine Einstimmigkeit ist unwahrscheinlich.
So wird es in der Realität aber nicht ablaufen. Die Schweiz wünscht eine Vertragsänderung. Dieser Änderung müssen alle EU-Mitglieder zustimmen, sonst kommt sie nicht zustande. Dann bleibt der Schweiz nichts anderes übrig, als vertragsbrüchig zu werden oder das Freizügigkeitsabkommen zu kündigen. Die anderen Bilateralen Verträge fallen dann nach sechs Monaten automatisch dahin.
Auch wenn die Bilateralen I aufgelöst würden, wäre das für die Schweiz nicht so schlimm, glaubt Wirtschaftsprofessor Reiner Eichenberger. Zum Abkommen über technische Handelshemmnisse oder über das öffentliche Beschaffungswesen gäbe es für Schweizer Unternehmen gute Alternativen. Liegt er falsch?
Ja, da liegt er tatsächlich falsch. Das Forschungsinstitut BAK Basel hat im vergangenen Herbst über 400 Unternehmen aus allen wichtigen Branchen zur Bedeutung der Bilateralen befragt. Nebst der Personenfreizügigkeit wurden die beiden von ihnen erwähnten Verträge ganz klar als die wichtigsten genannt. Ein Beispiel: Die Postauto AG hat in den vergangenen Jahren mehrere Ausschreibungen für den Betrieb städtischer Busnetze in Frankreich gewonnen. Ohne die Bilateralen dürfte sie sich daran gar nicht beteiligen.
Der britische EU-Parlamentarier David Campbell Bannermann der Tories glaubt, dass die Schweiz für die EU ein zu wichtiger Handelspartner ist, um auf sie verzichten zu können. Die Schweiz habe keine Sanktionen zu befürchten. Ist Campbell Bannermann zu naiv oder sind Sie zu ängstlich?
Herr Campell Bannermann ist als EU-kritischer Haudegen bekannt und verfolgt als solcher eigene Ziele. Aussagen wie die von ihnen zitierte sind nicht an die Schweiz, sondern primär ans britische Publikum gerichtet, dem er den EU-Austritt schmackhaft machen will.
In weniger als zwei Wochen stimmt die Schweiz über die SVP-Zuwanderungsinitiative ab.Gemäss einer gewichteten Umfrage von 20 Minuten sind 49 Prozent dafür, 45 Prozent dagegen. Wie wollen Sie die unentschlossenen sechs Prozent noch auf Ihre Seite ziehen?
Ich möchte mich hier nicht dazu äussern, wie repräsentativ Online-Umfragen sind. Doch ganz abgesehen vom Resultat werden wir die letzten Tage vor der Abstimmung dazu nutzen, um den Stimmberechtigten zu verdeutlichen: Die Initiative richtet grossen Schaden an, verfehlt aber alle angepeilten Ziele.
Die Initiativ-Gegner werben zurzeit mit javascript:;Stanislas Wawrinka, dem Sieger des Australian Open, gegen die SVP-Initiative. Wurde er um Erlaubnis gefragt?
Nein. Schliesslich hat das Komitee weder seinen Namen noch ein Bild von ihm verwendet. Ausserdem wirbt das Nein-Komitee gar nicht mit Stanislas Wawrinka, das wäre unlauter. Das betreffende Inserat greift nur die Freude über den Erfolg der Tennisnation Schweiz auf.
Was raten Sie Schweizer Unternehmen, wenn die Initiative angenommen wird?
Jedes Unternehmen, ob klein oder gross, weiss vermutlich selbst am besten, wie es mit der nachfolgenden Phase der Unsicherheit am besten umgehen soll.
Was würde es für die Economiesuisse und Sie als Präsidenten bedeuten, wenn die Initiative angenommen würde?
Mit dieser Frage setze ich mich erst auseinander, wenn es so weit kommt. Bis zum 9. Februar konzentrieren Economiesuisse, der Arbeitgeberverband und alle verbündeten Organisationen und Parteien ihre Kräfte darauf, diese Abstimmung zu gewinnen.